07 - Asche zu Asche
Olivia:
»Chris, ich kann nicht weiter. Der Reis. Er liegt überall.«
Faraday ging zu ihr. »Beans! Toast!« sagte er. »Platz.« Das Klappern ihrer Krallen auf dem Linoleum wurde leiser, als sie gehorsam nach vorn tappten, wo sie ihren Platz hatten.
Im Wohnzimmer schaltete Lynley die Lampen ein, die noch nicht brannten. Olivia konnte sich vor ihm hinter ihrer Krankheit verstecken, wenn sie das wollte, aber das Spiel mit Licht und Schatten würde er ihr nicht mehr gestatten. Er sah sich nach einem Tisch um, auf dem er die Zeitungen ausbreiten konnte, die er mitgebracht hatte, aber abgesehen von Faradays Arbeitstisch an der gegenüberliegenden Wand gab es nichts, was er hätte benutzen können. Er entfaltete die Zeitungen also auf dem Boden.
»Ja?«
Er drehte sich um. Olivia stand in der Türöffnung zwischen Küche und Wohnraum. Mit gekrümmten Schultern stützte sie sich auf die Metallstangen ihrer Gehhilfe. Ihr Gesicht war kreidebleich und glänzte, und sie wich seinem Blick aus, als sie sich mühsam vorwärts schob.
Faraday folgte ihr, die erhobene Hand etwa dreißig Zentimeter von ihrem Rücken entfernt. Sie hielt inne, als sie die Zeitungen sah, und stieß einen unartikulierten Laut aus - es hörte sich an wie eine Mischung aus Spott und Ärger -, dann schleppte sie sich in einem Bogen um sie herum und ließ sich in einem der Cordsessel nieder. Als sie saß, hielt sie die Gehhilfe vor sich wie eine Abwehrwaffe. Faraday wollte sie wegnehmen. Sie sagte: »Nein!« Und dann: »Würdest du mir meine Zigaretten holen, Chris?«
Sie zündete die Zigarette, die er ihr reichte, selbst an. In einem dünnen grauen Band blies sie den Rauch in die Luft. Sie sagte zu Lynley: »Gehen Sie zu einer Maskerade?«
»Ich bin außer Dienst«, antwortete er.
Sie inhalierte und blies wieder Rauch in die Luft. Ihre Lippen waren vorgeschoben, und sie sah so ärgerlich aus, wie sie vielleicht aussehen wollte oder auch tatsächlich war. »Ach, hören Sie mir doch damit auf. Bullen sind nie außer Dienst.«
»Das kann sein. Aber ich bin nicht in meiner Eigenschaft als Polizeibeamter hier.«
»In welcher Eigenschaft denn? Als privater Bürger vielleicht? Der in seiner Freizeit die Lahmen und Kranken besucht? Sie gestatten, daß ich lache. Ein Bulle ist immer ein Bulle, ob im Dienst oder nicht.« Sie wandte den Kopf von ihm zu Faraday. Der hatte sich an den Küchentisch gesetzt, den Stuhl herumgedreht, so daß er zu ihnen ins Wohnzimmer sehen konnte. »Steht die Dose bei dir, Chris? Ich brauch sie.«
Er brachte sie ihr, dann zog er sich wieder zurück. Sie klemmte die Dose zwischen ihre Beine und schnippte einen Millimeter Asche von ihrer Zigarette. Sie trug einen silbernen Ring im Nasenflügel und eine Reihe silberner Stecker in einem Ohr, aber die Ringe, die ihre Finger geschmückt hatten, hatte sie alle abgenommen. Statt dessen trug sie den ganzen Arm hinauf klimpernde Reifen.
»Also, was wollen Sie diesmal?«
»Ich möchte nur mit Ihnen reden.«
»Die Handschellen haben Sie nicht dabei? Und mir auch noch kein Zimmer in Holloway reserviert?«
»Das ist nicht nötig, wie Sie sehen können.«
Als Reaktion auf seine Bemerkung deutete sie mit einem Fuß ungeschickt auf die Zeitungen, die er auf dem Boden ausgebreitet hatte. »Dann wird's also das Erziehungsheim«, meinte sie.
»Was kriegt eigentlich in unserem gegenwärtigen Rechtssystem so ein Bürschchen dafür, wenn er seinen eigenen Vater umbringt? Ein Jahr?«
»Das Strafmaß hängt von der Entscheidung des Gerichts ab. Und vom Können seines Verteidigers.«
»Dann ist es also wahr.«
»Was?«
»Daß der Junge es getan hat.«
»Sie haben zweifellos die Zeitungen gelesen.«
Sie hob die Zigarette an den Mund und inhalierte, ließ ihn jedoch dabei keinen Moment aus den Augen. »Warum sind Sie dann hier? Sie müßten doch eigentlich feiern.«
»Bei Mord gibt es nicht viel zu feiern.«
»Nicht einmal, wenn man die Bösen geschnappt hat?«
»Nicht einmal dann. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Bösen selten so böse sind, wie ich es gerne hätte. Die Menschen töten aus allen möglichen Gründen, und Bosheit ist einer der seltensten.«
Wieder zog sie an ihrer Zigarette. Ihrem Blick und ihrer Haltung sah er an, wie sehr sie auf der Hut war: Warum ist er gekommen, fragte sie sich, und ihre Miene verriet ihm, daß sie versuchte, ihm auf den Zahn zu fühlen.
»Menschen töten, um sich zu rächen«, sagte er so sachlich, als hielte er eine Vorlesung in einem
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