07 - Asche zu Asche
verstehst es?«
»Ja, ich verstehe. Aber eigentlich wollte ich dir damit antworten.«
»Mir antworten?«
»Auf die Frage, die du mir Freitag nacht gestellt hast. Obwohl das ja eigentlich keine Frage war, nicht wahr? Es klang mehr wie eine Forderung. Hm, Forderung ist vielleicht auch nicht ganz richtig. Mehr wie ein Antrag.«
»Freitag nacht?« Er dachte zurück. Die Tage waren so rasch verflogen, daß er sich nicht einmal mehr erinnern konnte, wo er Freitag nacht gewesen war und was er getan hatte. Nur daran, daß sie eigentlich in ein Strauß-Konzert wollten und der Abend völlig daneben gegangen war, und er gegen zwei Uhr morgens in ihre Wohnung gekommen war und ... Er warf ihr einen hastigen Blick zu und sah, daß sie lächelte.
»Ich habe nicht geschlafen«, erklärte sie. »Ich liebe dich, Tommy. Auf diese oder jene Weise habe ich dich wahrscheinlich immer geliebt, selbst als ich noch glaubte, du würdest stets nur mein Freund sein. Darum also: Ja, ich will. Wann immer du willst, und wo immer du willst.«
Olivia
Ich beobachtete schon seit einiger Zeit Panda, die immer noch auf der Kommode in einem kunstvoll arrangierten Stapel von Rechnungen und Briefen liegt. Sie sieht ganz friedlich aus. Sie hat sich zu einer richtigen Kugel zusammengerollt, der Kopf berührt das Hinterteil, die Pfoten sind unter dem Schwanz versteckt. Sie hat alle Versuche aufgegeben, zu verstehen, wieso. Sie fragt nicht, warum ich Stunde um Stunde in der Küche sitze, anstatt mich mit ihr zusammen in mein Zimmer zu begeben und die Decken aufzuschütteln, um ihr am Fußende des Betts ein Nest zu bauen. Ich würde sie gern von der Kommode herunterholen und eine Weile auf den Schoß nehmen. Die gönnerhafte Bereitwilligkeit einer Katze, sich halten und streicheln zu lassen, hat etwas Tröstliches. Ich rufe miez-miez-miez, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sie dreht die gespitzten Ohren in meine Richtung, rührt sich nicht. Ich weiß, was sie mir sagt. Es ist das gleiche, was ich mir immer wieder selbst sage. Das, was ich durchmache, muß ich allein durchmachen. Es ist wie eine Generalprobe zum Tod.
Chris ist wieder in seinem Zimmer. Es hat den Anschein, als wolle er sich mit einem großen Frühjahrshausputz wachhalten. Ich höre, wie Schubladen aufgezogen und Schranktüren zugeschlagen werden. Als ich ihm zurufe, er solle doch zu Bett gehen, ruft er zurück: »Gleich. Ich suche noch etwas.« Ich frage, was. »Ein Bild von LloydGeorge Marley«, antwortet er mir. »Er hatte Dreadlocks, hab ich dir das eigentlich erzählt? Und er trug persische Pantoffeln mit aufgebogenen Spitzen.« Das klinge ja, bemerke ich, als sei dieser Lloyd-George Marley ein ganz schriller Typ. Chris sagt: »War er.«
»Wieso?« frage ich. »Hast du keinen Kontakt mehr zu ihm? Warum besucht er uns nie hier auf dem Boot?« Ich höre, wie eine Schublade aufgezogen und ihr gesamter Inhalt auf Chris' Bett geschüttet wird. »Chris«, wiederhole ich, »wieso besucht er uns nie -«
Chris unterbricht mich. »Er ist tot, Livie.«
Ich wiederholte das Wort »tot« und frage, wie er gestorben ist.
»Bei einer Messerstecherei«, antwortet Chris.
Ich frage Chris nicht, ob er dabei war, als es geschah. Ich weiß es schon.
Ich finde nicht, daß die Welt einem viel an Glück und Zufriedenheit zu bieten hat, was meinen Sie? Es gibt doch viel zuviel Kummer und Schmerz. Sie entstehen aus Wissen, Bindung, Sich-Einlassen.
Zwar sind solche Spekulationen sinnlos, aber ich frage mich trotzdem, wie sich alles entwickelt hätte, wäre ich an jenem Abend vor so langer Zeit nicht ins Julip's gegangen, wo ich Richie Brewster kennenlernte. Wenn ich mein Studium fertiggemacht und einen Beruf ergriffen hätte, wenn ich meinen Eltern Grund gegeben hätte, stolz auf mich zu sein ... Wie viele Bedürfnisse anderer müssen wir in unserer Lebenszeit erfüllen? Wie weit müssen wir uns Schuld geben, wenn es uns nicht gelingt, die Bedürfnisse eines anderen in angemessenem Maß zu erfüllen? Keine, heißt die bequeme Antwort auf beide Fragen, wie einem sämtliche Briefkastentanten sagen würden. Aber das Leben ist komplizierter, als diese Damen es wahrhaben möchten.
Mir brennen die Augen. Ich weiß nicht, wie spät es ist, aber ich habe den Eindruck, daß die schwarze Wand draußen vor dem Küchenfenster sich langsam zu Grau aufhellt. Ich sage mir, daß ich für heute genug geschrieben habe, daß ich jetzt mit gutem Gewissen zu Bett gehen kann. Ich brauche meinen Schlaf. Hat nicht jeder Arzt
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