07 - Asche zu Asche
Olivia. Das ist immer der Anfang von allem, nicht wahr? Aber ich wußte nicht, daß es auch das Ende ist.«
Olivia
Zwei Dinge habe ich gelernt: Erstens, es gibt die Wahrheit. Zweitens, man wird nicht frei dadurch, daß man sie zugibt oder anerkennt.
Und noch etwas habe ich begriffen: Ganz gleich, was ich tue, einer wird darunter leiden.
Anfangs glaubte ich, ich könne das Wissen einfach begraben. Viele Fragen in Verbindung mit der Geschichte jener Nacht von Mittwoch auf Donnerstag waren offen geblieben, und über die Bemerkung hinaus, daß sie es für ihn getan habe, erklärte mir Mutter nicht, was sie unter Liebe verstand, und ich wußte nicht - und wollte auch nicht wissen -, wer die Sie war, von der Mutter in Zusammenhang mit Kenneth gesprochen hatte. Nur eines wußte ich sicher: Der Tod Kenneth Flemings war ein Unfall. Ein Unfall, ja. Und Mutters Strafe, wenn Strafe denn sein mußte, würde darin bestehen, mit dem Wissen zu leben, daß sie das Feuer gelegt hatte, in dem der Mann, den sie liebte, umgekommen war. War das nicht Strafe genug? Ja, sagte ich mir, das war eindeutig Strafe genug.
Ich beschloß das, was ich wußte, für mich zu behalten. Chris nichts zu sagen. Was hätte es auch gebracht, mit ihm zu sprechen?
Aber dann wurden die Untersuchungen immer fieberhafter geführt. Ich verfolgte sie, soweit es ging, in der Zeitung und am Radio. Mit Hilfe einer Zündvorrichtung, die die Polizei nicht näher beschreiben wollte, war ein Feuer gelegt worden. Die Art dieser Zündvorrichtung, und nicht allein ihr Vorhandensein, veranlaßte die Behörden offenbar, Worte wie »Brandstiftung« und »Mord« zu gebrauchen. Und als diese Worte einmal gefallen waren, erschienen auch ihre Gefährten in den Medien:
»Verdächtiger«, »Mörder«, »Opfer«, »Motiv«. Das Interesse wuchs. Die Spekulationen blühten. Dann legte Jimmy Cooper ein Geständnis ab.
Ich wartete auf einen Anruf von Mutter. Sie ist eine Frau mit Gewissen, sagte ich mir. Jetzt wird sie sich melden. Jede Minute. Jede Stunde. Denn es geht ja um Kenneth Flemings Sohn. Um Kenneth' Sohn!
Ich versuchte, uns allen die Wendung der Ereignisse schmackhaft zu machen. Er ist ja noch ein Jugendlicher, dachte ich. Wenn ihm der Prozeß gemacht wird und man ihn für schuldig befindet, was kann ihm dann schon groß geschehen, einem sechzehnjährigen Mörder? Würden sie ihn nicht einfach für ein paar Jahre in eine Besserungsanstalt schicken? Und konnte das nicht sogar von Vorteil für ihn sein? Dort würde man sich um ihn kümmern, er würde zur Schule gehen müssen, er würde eine berufliche Ausbildung erhalten, die er zweifellos dringend brauchte. Wahrscheinlich würde ihm diese Erfahrung nur guttun.
Dann sah ich sein Foto. Es zeigte ihn, wie er von der Polizei aus seiner Schule geholt wurde. Er ging zwischen zwei Beamten und bemühte sich verzweifelt, ein Gesicht zu machen, als scherte es ihn einen Dreck, was aus ihm wurde. Er bemühte sich, den Eindruck zu erwecken, daß nichts ihn berühren könnte. Oh, ich kenne diesen Ausdruck, den Jimmy auf seinem Gesicht trug. Er besagte, ich habe einen Panzer, und mir ist alles egal. Die Vergangenheit zählt nicht, weil ich sowieso keine Zukunft habe.
Da rief ich Mutter an und fragte sie, ob sie gehört habe, daß man Jimmy festgenommen habe. Sie erwiderte, die Polizei wolle nur mit ihm sprechen. Ich fragte sie, was sie zu tun gedenke. Sie antwortete, sie sei in meiner Hand.
»Olivia«, sagte sie, »ich werde deine Entscheidung respektieren, ganz gleich, wie sie ausfällt.«
»Aber was werden sie denn mit ihm anstellen? Mutter, was werden sie tun?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe ihm schon einen Anwalt besorgt. Der hat mit dem Jungen gesprochen.«
»Weiß der Anwalt Bescheid? Was wirklich ... Ich meine -«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie ihn vor Gericht stellen werden, Olivia. Er war an jenem Abend vielleicht in der Nachbarschaft, aber er war nicht im Haus. Sie können ihm nicht nachweisen, daß er im Haus war.«
»Was ist denn eigentlich an dem Abend passiert?« fragte ich sie. »Mutter, sag mir wenigstens, was geschehen ist.«
»Olivia, Darling. Das brauchst du nicht zu wissen. Du sollst dich nicht auf diese Weise belasten.«
Ihre Stimme war weich und so voller Einsicht. Nicht die Stimme jener Miriam Whitelaw, die einst energisch das Geschäft der guten Werke betrieben hatte, sondern die Stimme einer Frau, die für immer verändert war.
»Ich muß es wissen«, beharrte ich. »Du mußt es mir
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