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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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auseinander. Und er schreibe - »Gordon, Olivia, das ist das Wunderbare an diesem Jungen« -, er schreibe wie ein wahrer Gelehrter. Er sei wißbegierig und geistreich. Er lasse sich auf echte Diskussionen ein, böte nicht nur Ideen an, von denen er wüßte, daß der Lehrer sie hören wollte. Kurz, er war ein Traumschüler. Und das ganze Herbst-, Frühlings- und Sommertrimester über versäumte er nicht eine einzige Unterrichtsstunde.
    Ich haßte ihn. Wem wäre das nicht so ergangen? Er war alles, was ich nicht war, und er hatte es ohne ein einziges soziales oder wirtschaftliches Privileg geschafft.
    »Sein Vater ist Hafenarbeiter«, teilte Mutter uns mit und schien völlig entgeistert, daß der Sohn eines Hafenarbeiters tatsächlich so sein konnte: erfolgreich. »Seine Mutter ist Hausfrau. Er ist der Älteste von fünf Geschwistern. Er steht jeden Morgen um halb fünf auf, um seine Hausaufgaben zu machen, weil er sich abends um seine Geschwister kümmern muß. Heute hat er uns im Unterricht einen erstaunlichen Vortrag gehalten. Ihr wißt doch, ich hatte ihnen aufgetragen, sich mit der Idee des Selbst zu beschäftigen. Er lernt seit einiger Zeit - was ist es gleich wieder? Judo? Karate? Ich weiß nicht genau. Jedenfalls marschierte er vorn im Klassenzimmer in diesem pyjamaähnlichen Anzug herum und sprach über Kunst und geistige Disziplin und dann - Gordon, Olivia, denkt euch nur: Er hat einen Ziegelstein mit der Handkante zerschlagen.«
    Mein Vater nickte lächelnd und sagte: »Na, das ist ja wirklich allerhand. Einen Ziegelstein. Das muß man sich einmal vorstellen.«
    Ich gähnte. Wie langweilig war das, war sie, war er. Als nächstes würde ich zweifellos zu hören bekommen, daß der wunderbare Kenneth auf den Wellen der Themse gewandelt war.
    Es gab nicht den geringsten Zweifel daran, daß er seine Prüfungen mit Glanz und Gloria bestehen würde. Zum Stolz seiner Eltern, meiner Mutter und der ganzen Schule. Und er würde es zweifellos mit links schaffen. Wonach er natürlich brav weiter die Schule besuchen und in jedem Fach glänzen würde. Wonach er zum Studium nach Oxford gehen und sich schließlich seiner Pflicht dem Staat gegenüber beugen und Premierminister werden würde. Und wann immer es galt, jenen zu danken, die ihm zum Erfolg verholfen hatten, würde er den Namen Miriam Whitelaw nennen, seiner hochverehrten Lehrerin. Denn Kenneth verehrte meine Mutter. Er machte sie zur Hüterin der Flamme seiner Träume. Mit ihr teilte er die tiefsten Geheimnisse seiner Seele.
    Darum wußte sie auch lange vor allen anderen von Jean Cooper. Jean war sein Mädchen. Sie war es schon, seit sie beide zwölf Jahre alt gewesen waren und »miteinander gehen« nicht mehr bedeutet hatte, als daß man in der Schulpause nebeneinander an der Hofmauer lehnte. Sie war ein hübsches Mädchen skandinavischen Typs, mit hellem Haar und blauen Augen. Sie war schlank wie eine Gerte und beweglich wie ein junges Füllen. Sie hatte das Gesicht eines Teenagers, doch den Blick einer Erwachsenen. Zur Schule ging sie nur, wenn sie Lust dazu hatte. Wenn nicht, schwänzte sie zusammen mit ihren Freundinnen und machte sich durch die Fußgängerunterführung nach Greenwich davon. Oder sie stibitzte ihren Schwestern ihre Just Seventeen-Hefte und las den ganzen Tag alles über Popmusik und Mode. Sie schminkte sich, kürzte ihre Röcke und machte sich schicke Frisuren.
    Ich hörte mir Mutters Ausführungen über Jean Cooper mit erheblichem Interesse an. Für mich war eines sofort klar: Wenn bei Kenneth Flemings kometenhaftem Aufstieg zu Ruhm und Ehre jemand Sand ins Getriebe bringen würde, dann Jean.
    Demnach zu urteilen, was ich so beim Abendessen mitbekam, wußte Jean genau, was sie wollte, und mit Schulabschluß und Studium hatte es sicher nichts zu tun. Es hatte hingegen sehr viel mit Kenneth Fleming zu tun.
    Kenneth und Jean legten beide ihre Prüfungen zur mittleren Reife ab. Kenneth bestand, wie erwartet, mit Glanz und Gloria. Jean fiel durch. Auch das überraschte niemanden. Doch meine Mutter nahm diesen Ausgang mit großer Genugtuung zur Kenntnis. Ich glaube, sie war überzeugt, das intellektuelle Ungleichgewicht zwischen ihm und seiner Freundin würde Kenneth nun endlich offenkundig werden. Und wenn er es erst einmal wahrgenommen hatte, würde er Jean aus seinem Leben streichen, um sich ganz seiner weiteren geistigen Vervollkommnung zu widmen. Eine ziemlich ulkige Vorstellung, nicht wahr? Mir ist schleierhaft, wie Mutter überhaupt auf den

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