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07 - Old Surehand I

07 - Old Surehand I

Titel: 07 - Old Surehand I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auf den Gürtel herab, und selbst im Schlaf, währenddessen doch sonst das geistige Leben aus den Zügen zurückgetreten zu sein pflegt, lag auf seinem Gesicht der Ausdruck jener Energie, ohne welche ein guter Westmann undenkbar ist. Grad so, wie ich ihn hier liegen sah, hatte ich ihn mir vorgestellt, allerdings, weil er mir so beschrieben worden war; denn es ist keineswegs richtig, sich jeden namhaften Westläufer als eine solche Figur vorzustellen. Wer das tut – und das geschieht allerdings sehr häufig –, der fühlt sich dann später, wenn er den Betreffenden zu sehen bekommt, meist sehr enttäuscht. Berühmte Jäger von so riesiger Gestalt habe ich nur zwei gesehen, Old Firehand und Old Surehand. Man macht ja oft die Erfahrung, daß körperliche Hünen ein wahrhaft kindliches Gemüt besitzen und aller Kampfeslust und Kampfesfertigkeit ermangeln, während dürftiger gebaute Menschen sich lieber zerreißen als in die Flucht schlagen lassen. Doch soll dies natürlich keineswegs als Regel gelten. Das Leben im Wilden Westen ist der Bildung voller Körperformen nicht günstig, doch schafft es eiserne Muskeln und Sehnen wie der Stahl.
    Es war Zeit, die Schläfer zu wecken; ich tat es, und als Old Surehand sich aufrichtete, konnte ich erst richtig sehen, in welcher Harmonie die einzelnen Teile und Glieder seines Körpers zueinander standen.
    „Good morning, Sir!“ grüßte er mich, indem er seinen Blick forschend an mir niedergleiten ließ und dann wieder zu meinem Gesicht erhob. „Endlich, endlich wird mir der Wunsch erfüllt, Euch zu sehen, denn das gestern abend in der Dunkelheit war kein Sehen zu nennen. Hier meine Hand zum Morgengruß und nochmaligen Dank für das, was Ihr an mir getan und wegen mir gewagt habt. Wollt Ihr einschlagen, Mr. Shatterhand?“
    „Gern. Auch ich freue mich aufrichtig, Euch endlich kennenzulernen. Wenn es Euch recht ist, wollen wir treu zusammenhalten; das ist der Wunsch, den ich habe.“
    „Well, soll geschehen. Wenigstens, was an mir liegt, werde ich mir Mühe geben, daß nichts geschieht, was uns auseinanderbringen kann.“ Er dehnte und reckte sich, untersuchte die Hand- und Fußgelenke und fuhr dann fort: „Ich habe gut geschlafen, und die Folgen der Fesseln sind vollständig verschwunden. Was werden wir nun zunächst beginnen?“
    „Wir nehmen den Häuptling vor, um ihm zu sagen, was wir von ihm verlangen, und schicken dann den gefangenen Indianer hinüber in das Lager.“
    „Und bis er wiederkommt, wird tüchtig gefrühstückt“, fiel Old Wabble ein. „Wozu hätte ich denn das viele Fleisch mitgebracht? Wer etwas zu essen hat, der soll essen; th'is clear. Oder hat jemand etwas dagegen?“
    Es fiel keinem ein, gegen dieses Argument Widerspruch zu erheben. Old Surehand bat mich, die Verhandlung mit Vupa Umugi zu leiten; aber da es ihn selbst betraf, so war ich der Meinung, daß er dem Häuptling seine Bedingungen selbst vorschreiben müsse, und er tat dies denn auch. Vupa Umugi zögerte auch gar nicht, auf sie einzugehen; er sah ein, daß er gar nicht glimpflicher wegkommen könne. Dann banden wir den Comanchen, den Old Wabble gestern gefangen hatte, los; er erhielt von dem Häuptling die nötigen Befehle und ging dann fort, dieselben auszurichten. Hierauf hatten wir Zeit, unser Frühstück einzunehmen.
    Nach ungefähr zwei Stunden sahen wir den Boten mit einigen Roten zurückkehren. Sie brachten Old Surehands Pferd, seine Waffen und alle andern Gegenstände, die ihm fehlten, auch seinen breitkrempigen Hut, der auf der Insel liegen geblieben war. Als er erklärte, daß nichts fehle, gaben wir den Häuptling frei. Eigentlich hatten wir ihm das Versprechen abverlangen wollen, fernerhin Frieden zu halten; wir sagten uns aber, daß er sein Wort doch nicht halten werde, und weil durch eine solche Forderung unsre Verhandlung mit ihm sehr in die Länge gezogen worden wäre, verzichteten wir lieber darauf, sie zu stellen. Als wir ihm die Fesseln abgenommen hatten, tat er einige Schritte, um sich zu entfernen, drehte sich aber wieder um und richtete die Wort an mich:
    „Die Bleichgesichter haben Frieden mit uns geschlossen; ich frage sie, wie lange er währen soll.“
    „So lange du willst“, antwortete ich ihm; „es steht das ganz in euerm eigenen Belieben.“
    „Warum spricht Old Shatterhand nicht deutlicher? Warum sagt er nicht eine bestimmte Zeit?“
    „Weil ich das nicht kann. Wir sind den roten Männern nicht feindlich gesinnt und möchten gern stets und immer

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