07 - Old Surehand I
auch ein seltsames Schicksal hinter sich. Gibt es doch nie einen Westmann, dessen Lebenslauf ein gewöhnlicher gewesen ist!
Nach der angegebenen Zeit von einer Stunde war der grüne Vegetationsstreifen des Rio Pecos längst nicht mehr hinter uns zu sehen; vor uns lag die Prärie meilen- und aber meilenweit; es gab rings keinen Punkt, an welchem das Auge den Halt zu einer Berechnung finden konnte, und dennoch wußte ich, daß ich mich nun auf der vorhin erwähnten Linie befand. Das war der Örtlichkeitssinn oder vielmehr der Ortsinstinkt, der dem Wandertier eigen ist und ohne den auch der Westläufer in hundert und wieder hundert Gefahren gerät. Wer ihn nicht besitzt, der wird entweder zugrunde gehen oder ein Jäger niedrigster Klasse bleiben. Wir hatten nur eine kleine Wendung zu machen, um von unsrer bisherigen Tour auf diese Linie einzubiegen.
Es war jetzt drei Uhr nachmittags, und wenn jemand behauptet hätte, daß es den Comanchen möglich sei, unsre Fährte aufzufinden und uns gar nachzukommen, den hätte ich für irrsinnig gehalten. Sie konnten jetzt erst auf dem jenseitigen, rechten Ufer des Rio Pecos angekommen sein, um nach unsern Wachen oder Posten zu suchen, die aber gar nicht dastanden und nicht dagestanden hatten.
Old Surehand schien durch den letzten Teil unsres kurzen Gesprächs nach innen gekehrt worden zu sein, denn er hatte sein Pferd angetrieben und ritt, den Kopf nachdenklich niedergesenkt, allein voran. Da parierte er plötzlich sein Pferd, stieg ab und untersuchte den Boden. Als wir ihn erreichten und ich seinen Augen folgte, sah ich, daß er eine Fährte entdeckt hatte, und stieg auch ab. Old Wabble folgte unserm Beispiel, untersuchte das niedergetretene kurze Gras und sagte:
„Das sind Pferde gewesen, Mesch'schurs, sechs an der Zahl und Indianern angehörig. Die Kerls sind hintereinander geritten, aber diese meine alten Augen zählen die sechs doch ganz genau heraus. Sie sind ostwärts geritten und vor zwei Stunden hier vorübergekommen.“
Old Surehand warf mir einen Blick zu, in welchem deutlich die Bewunderung für den Alten lag, und ich gab diesen Blick zurück, denn ich hätte die Fährte wohl kaum so gut oder wenigstens nicht deutlicher zu lesen vermocht. Hier auf der offenen Savanne zeigte sich der Alte als einstiger ‚König der Cowboys‘, als der Fachmann, der nicht zu täuschen war. Er hatte unsre Blicke nicht gesehen, und weil niemand sogleich antwortete, fragte er:
„Seid Ihr etwa andrer Meinung, Gents?“
„Nein“, antwortete ich. „Ihr habt ganz richtig gesehen.“
„So viel die Spur besagt, ja, Sir. Das Weitere aber muß ich Euch überlassen, weil ich die Gegend und die Roten, die sich hier herumtreiben, nicht kenne.“
„Es kann sich nur um Apachen oder Comanchen handeln.“
„Welcher der beiden Nationen werden diese Leute hier wohl angehören?“
„Ihr fragt so bestimmt, Mr. Cutter, als ob es kinderleicht sei, darauf Antwort zu geben!“
„Weil ich annehme, daß Old Shatterhand sich den Kopf nicht zu zerbrechen braucht, um die richtige Auskunft zu finden.“
„Danke Euch für das Kompliment! Man muß nachdenken, wenn man sich auch nicht gerade den Kopf zu zerbrechen hat. Die Comanchen sind ausgezogen und befinden sich in der Nähe, da seitwärts hinter uns. Die Apachen wissen, daß die Comanchen das Kriegsbeil ausgegraben haben; sie sehen sich zur Vorsicht gezwungen und senden also Späher aus.“
„Das ist sehr richtig, Sir; aber damit sind wir nicht weiter als vorher; th'is clear.“
„Wartet nur! Die Spur geht ostwärts: sie weist also nach dem Llano estacado. Wer aber von beiden ist es, der den Llano jetzt im Auge hat?“
„Die Comanchen.“
„Richtig! Ich bin überzeugt, daß nur ein einziger Apache von der Absicht der Comanchen auf den Llano weiß; das ist Winnetou. Seine Mescaleros werden durch ihn selbst oder durch einen Boten von ihm erst davon benachrichtigt. Sie können noch nicht hier sein und also auch keine Späher nach dem Llano vorausgesandt haben. Dazu kommt, daß ihre Wohnsitze von hier im Süden liegen. Wenn sie Kundschafter oder Boten direkt nach dem Llano schickten, so würde der Weg derselben nicht so weit nach Norden führen.“
„Ihr meint also, daß wir es mit Comanchen zu tun haben, Mr. Shatterhand?“
„Ja.“
„So wissen wir, woran wir sind und – – –“
„Halt!“ unterbrach ich ihn. „Was ich sage, ist mehr Vermutung als Überzeugung. Wir müssen Gewißheit haben. Die Sache ist so wichtig für
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