07 Von fremder Hand
zu erscheinen, die sich in alles einmischt, und hier bot sich ihr nun die perfekte Gelegenheit dazu.
Historisch gesehen hatte Wells lange Zeit in Konkurrenz zu Glastonbury gestanden, sodass Verbesserungen in Wells häufig zu verstärkter Bautätigkeit an der Abtei geführt hatten und umgekehrt. Als sie über die Grünfläche hinweg die Westfassade der Kathedrale erblickte, versuchte Winnie sich vorzustellen, dass die Abtei einst ganz ähnlich ausgesehen hatte, doch es schien unmöglich, das Bild der prachtvollen Stirnseite und der Türme dieser unversehrten Kathedrale mit den verbliebenen Ruinen von Glastonbury in Einklang zu bringen.
»Die Leitern gefallen mir am besten.« Faith blieb stehen und blickte zu den in Stein gehauenen Heiligen auf, die in den Himmel aufstiegen.
»Mir auch«, stimmte Winnie zu. »Du bist also schon mal hier gewesen?«
»Schon oft.«
Da Faith nichts weiter sagte, warf Winnie einen Blick auf ihre Uhr. »Ich denke, wir haben noch Zeit für eine Tasse Tee in der Cafeteria, wenn du magst. Hast du Hunger?«
Faith lächelte schüchtern. »Immer.« Als sie die Kathedrale durch den Haupteingang betraten, verspürte Winnie das gleiche erhebende Gefühl des Entzückens, das sie jedes Mal beim Anblick der großen scherenförmigen Strebebögen überkam, auf denen die Türme ruhten. Einige Historiker vertraten die Theorie, dass Glastonbury früher einen Bogen wie diesen besessen hatte, und Winnie kam plötzlich der Gedanke, dass sie ja Edmund fragen könnten - ein sicheres Zeichen dafür, dass sie inzwischen genauso übergeschnappt war wie all die anderen.
Sie wandten sich nach rechts und gingen durch den Souvenirladen in die Cafeteria, wo Faith sich von Winnie ein Käse-brötchen kaufen ließ, aber auf Kräutertee bestand. »Garnet sagt, ich darf kein Koffein zu mir nehmen«, erklärte sie. »Das ist schlecht für das Baby.«
»Verstehst du dich gut mit Garnet?«, fragte Winnie, als sie an dem Tisch Platz genommen hatten, von dem aus sie das stille grüne Quadrat des Klosterhofs überblickten.
»Sie hat mir ganz toll geholfen. Und sie weiß so viel über alles Mögliche. Haben Sie mal ihre Fliesen gesehen?«
»Ja, in mehreren der Kirchen, die ich regelmäßig besuche. Sie sind wunderschön.«
»Sie weiß auch alles über die alte Religion und darüber, wie die Verehrung der Göttin in das Christentum integriert wurde als Verehrung der Jungfrau Mar...« Sie brach ab und starrte Winnie entsetzt an, als sei ihr plötzlich klar geworden, dass Winnie diese Ansichten vielleicht missbilligen würde.
»Da mag sie sehr wohl Recht haben«, bemerkte Winnie ruhig. »Es ist ein interessanter Gedanke. Du sagst, du bist schon oft in Wells gewesen?«
»In der Schule hab ich im Chor gesungen«, erläuterte Faith. »Wir sind hierher gekommen, um andere Chöre zu hören, und einmal sind wir auch eingeladen worden, selbst zu singen.«
Hörte sie da einen wehmütigen Unterton in der Stimme des Mädchens? »Das muss dir doch sehr fehlen.«
»Es war... ich hab mich dabei... irgendwie gefühlt, als wäre ich außerhalb von mir selbst, würde ich sagen.« Faith zuckte leicht mit den Schultern, als habe ihr Eingeständnis sie verlegen gemacht.
»So wie heute? Du hast es auch gespürt, nicht wahr?«
Faith nickte. »Es war echt merkwürdig - als wäre ich selbst da in der Kirche und könnte sie singen hören.«
»Ich glaube nicht, dass die anderen das gleiche Erlebnis hatten.« Winnie trank ihren Tee, der inzwischen lauwarm war, während sie nachdachte. »Ich kann es nicht erklären. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass ich diese ganze Sache glaube.«
»Vielleicht mussten Sie erst überzeugt werden.« Der Blick aus Faiths dunklen Augen ließ kein Verstellen zu.
»Ja, vielleicht. Aber was ist mit dir?«
Faith antwortete, indem sie die Hand auf ihren Bauch legte: »Ich denke, dass es vielleicht hiermit zu tun hat. Seit das Baby da drin ist - da ist es, als wäre die Welt irgendwie intensiver geworden. Ich sehe besser, höre besser - alles scheint noch eine zusätzliche Schicht zu haben.«
Eine hormonell verursachte Schärfung der Sinne? Winnie fragte sich, ob nicht mehr dahinter stand. »Faith, was das Baby betrifft - wissen deine Eltern, wo du bist?«
Das Mädchen schob seinen leeren Teller und die Tasse von sich. »Mein Vater - sie haben gesagt, sie wollten mich nie mehr wieder sehen. Dass ich ihnen Schande gemacht
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