07 Von fremder Hand
größere Schlafzimmer umgezogen.
Wenn sie geglaubt hatte, das Haus sei an sonnigen Sommertagen recht kalt, so glich es jetzt im Oktober einem Eisschrank. Winnie bildete sich zuweilen ein, dass es der Schatten des Tor war, der es so kühl hielt, aber das war absurd. Das Haus war ganz einfach alt, sagte sie sich zitternd, und die Zentralheizung unzureichend.
Während sie die Treppe hinuntertappte und sich am Geländer festklammerte, gab sie sich für einen Augenblick einer Fantasie hin, in der sie und Jack sich gemütlich in ihrem warmen Zimmer im Pfarrhaus aneinander kuschelten. Aber sie wusste genau, dass die Leute sich die Mäuler zerreißen würden, egal wie diskret sie vorgehen würden, und noch mehr Klatsch konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Ihre Erzdiakonin Suzanne Sanborne hatte bereits ihre Besorgnis wegen der Gerüchte über Winnies »Beschäftigung mit okkulten Praktiken« zum Ausdruck gebracht, und diesen Stein hatte, wie Winnie vermutete, Andrew ins Rollen gebracht.
Andrew hatte sich nach ihrem Streit bei ihr entschuldigt, und sie hatte alles getan, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen, doch es war ein Keil des Unbehagens zwischen ihnen zurückgeblieben, ein Riss, der, wie sie fürchtete, vielleicht nie mehr heilen würde. Seine Kritik hatte sie tief verletzt, und sie fand es sehr schwer, zu vergeben. »Du musst praktizieren, was du predigst, Winnie«, flüsterte sie, als sie in die Küche kam.
Sie schaltete die Lampe über dem Tisch ein, öffnete den Kühlschrank, goss sich Milch in einen Becher und stellte ihn in die Mikrowelle.
Von Jack konnte sie sich noch eine Scheibe abschneiden, was das Vergeben betraf, dachte sie, während sie ihre heiße Milch aus dem Ofen nahm und den süßen, beruhigenden Duft einatmete. Nachdem sie an jenem Abend beim Essen all ihren Mut zusammengenommen und Jack von ihrer früheren Beziehung mit Simon Fitzstephen erzählt hatte, da hatte er nur ganz ruhig gesagt: »Ich habe nie geglaubt, dass du eine Heilige bist, Winnie. Der Gedanke, dass du dir monatelang deswegen Sorgen gemacht hast, gefällt mir gar nicht.«
»Du bist mir nicht böse?«
»Es gibt mir schon einen Stich, wenn ich mir dich zusammen mit einem anderen Mann vorstelle«, gab er zu. »Aber es ist lange her, und ich wüsste nicht, welchen Einfluss das auf unsere Beziehung haben sollte.«
»Ich habe dir noch nicht gesagt, warum ich damals Schluss gemacht habe.« Winnie zögerte, während sie die einzelnen Teile einer Geschichte zusammenfügte, die sie über zehn Jahre lang für sich behalten hatte. »Da war ein anderer Student, Ray hieß er, ein Schützling von Simon. Er kam bei einem Autounfall ums Leben.«
»Wart ihr befreundet?«
»Ja. Er wäre ein guter Priester geworden - ein sehr warmherziger Mann mit einem echten Talent zur Seelsorge. Aber er war auch ein Wissenschafder, und er vergötterte Simon. Hätte Ray länger gelebt, dann hätte er das alles mit der Zeit hinter sich gelassen, denke ich. Aber er bekam nie die Gelegenheit dazu.«
Jack runzelte die Stirn und meinte: »Tragisch - aber ich verstehe nicht, was das mit Simon zu tun hat.«
»Ray arbeitete an einem Forschungsprojekt, das von Simon betreut wurde, einer Abhandlung über eine obskure Gralslegende aus dem dreizehnten Jahrhundert. Nachdem Ray verunglückt war, veröffentlichte Simon die Arbeit unter seinem eigenen Namen.«
»Aber da lag doch sicherlich irgendein Irrtum vor -«
»Kein Irrtum. Wenige Monate nach Rays Tod bat mich seine Familie, seine Sachen durchzusehen. Ich fand das Originalmanuskript. Als ich Simon damit konfrontierte, behauptete er, es sei sein Werk, und Ray habe es lediglich für ihn abgetippt.«
»Natürlich, das wird’s gewesen sein«, sagte Jack sichtlich erleichtert.
»Aber Ray hatte Aufzeichnungen hinterlassen, jede Menge Konzeptmaterial. Es war nicht der geringste Zweifel möglich, dass er sowohl die Forschungsarbeit geleistet als auch den Artikel verfasst hatte.«
Jack schien die Information zuerst verdauen zu müssen. Er fragte: »Hast du irgendjemand davon erzählt?«
Winnie spürte, wie sie rot wurde. »Nein, Simon sagte, er würde mich vor dem Bischof lächerlich machen - er würde ihm sagen, dass ich aus Rachsucht handelte, weil er meine Avancen zurückgewiesen habe; er würde dafür sorgen, dass ich niemals eine gute Pfründe bekommen würde. Er hatte genügend Einfluss, um seine Drohung wahr zu machen. Also habe
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