070 - Komplott der toten Moerder
Schlosses, wendete den Rollstuhl und machte sich davon.
„Die Lippen“, sagte Inspektor Leburton plötzlich.
„Bin schon von allein drauf gekommen!“ meinte Morricourt.
„Worauf, Antoine?“
„Auf die Lippen, mein lieber Jacques. Auch die Lippen dieser anderen Frau waren so zerschunden … oder eher noch würde ich sagen, zerbissen, eh?“
„Dracula, ohne Zweifel.“
„Jedenfalls der gleiche Täter.“
„Dann muß er heute nacht aber in einer ganz anderen Stimmung gewesen sein. Die Frau am Montparnasse war doch entsetzlich zugerichtet.“
„Sehr scharfsinnige Folgerungen. Aber du hast recht, das kommt mir vor wie die Tat eines Irren, den jede Nacht ein anderer böser Geist in Besitz nimmt.“
Die beiden Kriminalbeamten sahen sich mit einem schrägen Lächeln an, als wollten sie ausdrücken: Wir spinnen, wir beide. Morricourt meinte schließlich: „Komm weg hier, wir behindern nur unseren Fotografen und die Leute von der Spurensicherung. Ich werde dir sagen, Leburton, was ich mache. Erinnerst du dich an unsere charmante Kollegin Denise von der weiblichen Kripo?“
„Das ist ein Weib aus Eis, die wird dich auch nicht trösten.“
„Unser Lustmörder geht nur auf Frauen los, davon bin ich überzeugt. Und ist unsere schöne Denise nicht ein idealer Köder, auf den er fliegen wird?“
Leburton antwortete nicht gleich darauf. Er ging mit gesenktem Kopf neben Morricourt her. „Und nehmen wir mal an, Denise ist bereit dazu, dieses Spiel mitzumachen: Wo willst du das Köderchen eigentlich auslegen? Das sieht doch beinahe wie ein reisender Mörder aus – heute hier, morgen da, übermorgen vielleicht schon wieder ganz woanders. Hm?“
Morricourt zeigte auf das grau im Nebel liegende Schloß. „Da, mein Alter. Ich kann’s dir nicht erklären, aber mich juckt es in den Fingerspitzen, wenn ich diesen alten Kasten ansehe. Ich lasse das Ding vorübergehend räumen, und …“
„Das haben unsere Leute doch vom Keller bis zum Boden durchsucht.“
„Macht nichts! Da drinnen und nirgendwo anders wird Denise heute nacht auf ihn warten.“
Kriminalassistentin Denise Carson hielt den Taschenspiegel vor ihr Gesicht und zog sich die Lippen nach. Sie ertappte sich dabei, wie sie in die enge Spiegelfläche hinein schielte, um zu erspähen, ob in der uralten Bibliothek des Schlosses etwa jemand hinter ihr stand.
Natürlich war sie allein.
Sie gähnte, steckte den Lippenstift ein und nahm in einem tiefen, wuchtigen Ledersessel Platz. Ihr Blick wanderte zu dem tragbaren Funksprechgerät, das sie auf einen Eichentisch gelegt hatte. Das Gerät besaß eine Reichweite von dreihundert Metern. Ihre Kollegen warteten in nicht ganz zweihundert Metern Entfernung vom Schloß. Denise dachte schläfrig, daß Morricourt und seine Leute es in dem alten Geräteschuppen doch wesentlich ungemütlicher hatten als sie in der mollig geheizten Bibliothek, wo es zwar ab und zu in den alten Wänden knisterte …
Denise Carson war nicht nur das hübscheste, sondern auch das mutigste Mitglied der weiblichen Kriminalpolizei. Ihre Gelassenheit verführte sie zu einem folgenschweren Fehler.
Sie blinzelte, schloß die Augen, öffnete sie wieder und schloß sie von neuem. Dann schlief sie ein.
Als sie entsetzt aus ihrem Schlaf hochschreckte, war es um sie her stockfinster. Ein wüstes Traum-Durcheinander hatte sie gequält, in dem groteske, gelblich verfärbte, aus ihren Gräbern auferstandene Tote eine Rolle spielten. Wer war das? Atmete da nicht jemand im Raum?
Sie lauschte angestrengt. Nichts. Nichts als das Knistern in den Wänden … Und dieses merkwürdige schleifende Geräusch …
Jetzt wußte sie, daß da etwas war. Vorsichtig stand sie aus dem Ledersessel auf, doch das Leder knirschte so laut bei dieser Bewegung, als habe sie in den Raum gerufen: „Hier bin ich!“ Sie ging zum Eichentisch und tastete nach dem Funkgerät. Sie konnte es nicht finden.
Denise holte ihre Mini-Taschenlampe aus der Jackentasche und ließ den schmalen Lichtkegel hin und her gehen. Die Tischfläche war leer.
Jemand hatte ihr Funkgerät fortgenommen. Sie fuhr herum und leuchtete mit nervösen Bewegungen den Raum ab.
Mit einemmal blieb der Lichtstrahl an demjenigen Teil der bücherbedeckten Wand haften, der ihr gerade gegenüberlag. Dort ging vom Boden bis zur Decke ein tieferer Schatten zwischen zwei Bücherregalen hindurch, der sich zu einem Spalt erweiterte.
Die Wand bewegte sich. Das Schleifgeräusch, das sie vorher gehört hatte,
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