0701 - Duell der Amulette
dass er da war.
Die Abschreckung reichte meistens aus. Da hatte er sich zumindest von älteren Kollegen sagen lassen, die schon länger in diesem Job arbeiteten. Er selbst hatte in den zwei Monaten, in denen er als Nachtwächter für die Albemarle Corporation, eine Chemiefirma, tätig war, noch keinen Einbruch erlebt.
Dabei lohnte sich der Versuch durchaus, denn in den Lagerhallen türmten sich Fässer mit Chemikalien, die so manche Drogenküche über Jahre hinweg saniert hätte. Zum Glück schien sich das noch nicht herumgesprochen zu haben.
Yves Cascal, der von seinen wenigen Freunden Ombre genannt wurde, sah auf die Uhr. Fünf Uhr morgens, noch eine Stunde bis zum Ende seiner Arbeitszeit und dem Beginn der Frühschicht. Müde fuhr er sich mit der Hand über die Augen. Seit er nachts arbeitete, bekam er nur noch wenig Schlaf. Er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, den Tag zu verschlafen, während um ihn herum das Leben pulsierte.
Ich muss einen anderen Job finden, dachte er zum wiederholten Mal in dieser Nacht, aber er wusste, dass das nicht einfach werden würde.
Seit seiner Kindheit in den Slums, wo er Tag für Tag sah, wie der Kreislauf aus Drogen, Armut und Gewalt Menschen vernichtet, hatte er Polizist werden wollen. Nicht einer dieser korrupten Feiglinge, die für ein paar Dollar die Augen vor den Drogenküchen und der Kinderprostitution verschlossen, sondern ein richtiger Polizist, zu dem die Menschen Vertrauen hatten. Einer, der wie sie die Härten des Slumlebens kannte.
Er hatte diesen Traum in Händen gehalten, aber er war ihm entglitten und das Schlimmste daran war, dass Yves noch nicht einmal wusste, warum.
Der Tag, an dem vier Beamte des Büros für interne Angelegenheiten vor seinem Schreibtisch standen und ihn wegen Korruption, Amtsmissbrauchs und Steuerhinterziehung festnahmen, stand immer noch vor seinem geistigen Auge und war der Beginn eines nicht enden wollenden Sturzes in die Leere gewesen, der ihn schließlich an diesen Ort gebracht hatte.
Wie immer bin ich mein schlimmster Feind, dachte er und sah erneut auf die Uhr.
Fünf Uhr und zehn Minuten.
Die Zeit verstrich quälend langsam. Der letzte Rundgang war immer der Schlimmste, das Ende einer monotonen Nacht, die sich endlos zu wiederholen schien. Manchmal konnte sich Yves am nächsten Abend an keinen einzigen Gedanken erinnern, den er in der Nacht zuvor gehabt hatte. Vielleicht hätte ihn das ängstigen sollen, aber er war zu gleichgültig geworden.
Das Geräusch von Schritten riss ihn aus seiner Lethargie.
Seine rechte Hand glitt zu dem Revolver an seiner Hüfte, seine linke hob die Taschenlampe. Einen Moment irrte der Lichtkegel an den Wänden entlang, dann fing er zwei Gestalten ein, die sich aus den Schatten lösten und auf ihn zugingen.
»Stehen bleiben!«, rief er mit fester Stimme, so wie er es gelernt hatte. »Ich bin bewaffnet und werde schießen.«
Die Gestalten gingen einfach weiter, als hätte er nichts gesagt. Die Selbstsicherheit, die ihre Körperhaltung ausdrückte, irritierte ihn. Überraschte Einbrecher reagierten nicht so.
Dann erkannte er sie endlich und wünschte sich inständig, er hätte tatsächlich Einbrecher überrascht. Aber das hatte er nicht. Im Gegenteil: Professor Zamorra und Nicole Duval hatten ihn überrascht.
»Mein Freund Ombre«, sagte der Professor mit breitem Grinsen. »Wie ich sehe, trägst du wieder Uniform.«
»Das Grau steht ihm auch viel besser als dieses furchtbar düstere Polizeiblau«, stimmte Nicole zu.
Yves bemerkte die Pistole in ihrer Hand und schluckte seinen Ärger herunter. »Was wollt ihr?«
Zamorra blieb stehen. »Du weißt genau, weshalb wir hier sind.«
Seine Stimme hatte einen drohenden Unterton Das Grinsen wirkte wie eingefroren auf seinem Gesicht. »Mach es dir selbst nicht schwerer als nötig.«
Sie hatten ähnliche Diskussionen schon mehrfach geführt, ohne dass der Professor seine zahlreichen Drohungen in die Tat umgesetzt hatte, aber Yves ahnte, dass er es dieses Mal ernst meinte.
Aus irgendeinem Grund befand sich das sechste Amulett auf einmal ganz oben auf Zamorras Prioritätsliste. Er hätte zu gerne gewusst, warum das so war.
Er spürte das Gewicht des Amuletts auf seiner Brust. Es war das einzig Wertvolle, das er noch besaß, auch wenn er kaum damit umzugehen wusste. Und doch hatte Merlins Stern ihn als Träger erwählt. Das war eine Verantwortung, der er sich nicht entziehen konnte.
Yves schätzte seine Chancen ab. Zamorra und Nicole waren zwar
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