0701 - Duell der Amulette
funktionierten, und korrigierte den Kurs. Weniger als zehn Minuten später schwebte die Hornisse über Baton Rouge. Trotzdem brauchten sie fast eine Stunde, bis sie die Maschine in einem Waldstück versteckt und einen Taxifahrer überredet hatten, sie in die Hafengegend zu fahren, in der Yves Cascal lebte.
»Hoffentlich lebt er auch in dieser Welt hier«, sagte Nicole, als sie ausstiegen und auf das heruntergekommene Haus zugingen. »Theoretisch könnte er ein gefeierter Basketballstar sein und noch nie von einem Amulett gehört haben.«
Zamorra nickte. Möglich war das, aber zumindest in Frankreich hatten sich alle Personen auch an den Orten befunden, wo sie in ihrer »richtigen« Welt lebten - abgesehen von Lady Patricia, ihrem Sohn Rhett und dem Butler William. Entweder hatte er sie nur nicht im Château gesehen oder sie waren aus irgendwelchen Gründen nie bis nach Frankreich gekommen.
Deshalb ging er davon aus, dass auch Cascal sich in dieser »Spiegelwelt« am gewohnten Ort befand.
Auf dem Gehsteig huschten ein paar Ratten zwischen überquellenden Mülleimern hin und her, an welche die städtische Müllabfuhr wohl wegen der verheerend geparkten und teilweise schrottreifen oder halb ausgeschlachteten Autos nur mit Schwierigkeiten herankam. Wie immer war die Haustür des großen Klinkerbaus nicht abgeschlossen.
Zamorra trat ein und ging die Treppe zur Kellerwohnung hinunter, die Ombre, der »Schatten«, wie er genannt wurde, in seiner Welt bewohnte. Eigentlich eher ein »Halbkeller«, da der Grundwasserspiegel hier in unmittelbarer Nähe des Mississippi ziemlich hoch lag und Überflutungen an der Tagesordnung waren. Was das anging, hatte Ombre bislang allerdings immer Glück gehabt; seine Wohnung auf Grundwasserniveau schien immer von den Fluten verschont geblieben zu sein.
Es gab kein Namensschild an der Tür, aber das war nicht ungewöhnlich bei einem Mann, der seine Anonymität schätzte und vorwiegend von kleinen Gaunereien lebte. Gaunereien, die merkwürdigerweise stets etwas Gutes auslösten.
Zamorras Verhältnis zu Cascal war seit einiger Zeit getrübt. Er nahm es dem Schwarzen übel, dass er sich seiner Verantwortung als Träger des sechsten Amuletts nicht stellte, sondern es nur für einen sinnlosen Rachefeldzug einsetzte. Als er an der Tür klopfte, fragte er sich, wie der Zamorra in dieser Welt wohl mit Ombre umging, ob sie Todfeinde oder vielleicht sogar Freunde waren.
Niemand öffnete.
Nicole sah auf die Uhr, zog die sieben Stunden Zeitunterschied ab und sagte: »Fünf Uhr morgens. Vielleicht schläft er.«
Zamorra klopfte erneut, mit dem gleichen Ergebnis. Erst dann entdeckte er eine unscheinbare Klingel neben der Holztür. Das Geräusch, als er darauf drückte, war so schrill und durchdringend, dass es wohl auch Tote geweckt hätte.
»Entweder ist er nicht zu Hause oder er will uns nicht öffnen. Was jetzt?«
»Gute Frage«, antwortete der Parapsychologe. »Vielleicht…«
Ein Geräusch aus einer der oberen Etagen unterbrach ihn. Er trat einen Schritt zurück und sah, dass im Parterre eine Wohnungstür geöffnet worden war. Eine ältere, enorm dicke schwarze Frau stand halb auf dem Hausflur.
»Hören Sie mit dem Lärm auf«, rief sie so laut, dass vermutlich auch der Rest des Hauses aufwachte. »Es ist keiner zu Hause.«
»Tut uns leid, aber wir müssen Yves dringend sprechen. Wissen Sie, wo er ist?«, fragte Nicole freundlich.
»Sind Sie Cops?«
»Nein.«
»Dann muss ich Ihnen auch nichts sagen.«
Die Frau verschwand in der Wohnungstür, tauchte aber im nächsten Moment wieder auf. Dieses Mal lehnte sie sich so weit über das Treppengeländer vor, dass Zamorra befürchtete, sie würde herunterfallen und ihn unter sich begraben.
»Augenblick mal«, rief sie. »Halten Sie mich für dämlich? Sie waren doch eben schon mal hier und haben mich das Gleiche gefragt! Gedroht haben Sie mir sogar.«
Aus ihrem Rufen wurde Gezeter. Zamorra und Nicole eilten die Treppenstufen wieder hinauf, verließen das Haus an der Zeternden vorbei und verschwanden so schnell wie möglich zwischen den anderen Häusern. Sie wussten, was die Worte der Frau zu bedeuten hatten.
Ihre Doppelgänger waren bereits hier.
***
Yves Cascal durchquerte die dunkle Lagerhalle. Seine Taschenlampe erhellte den Weg, der vor ihm lag. Immer wieder leuchtete er damit an den Fenstern entlang, weniger, weil er was zu finden hoffte, sondern nur um den Kleinkriminellen, die vielleicht irgendwo da draußen lauerten, zu zeigen,
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