0702 - Die Nacht der bösen Frauen
ihn wahrscheinlich auch nicht mehr Wiedersehen würde.
Dabei war es mir nicht einmal um ihn gegangen, sondern um die Hexe Assunga. Er war dabei so etwas wie ein Nebenprodukt geworden. Ich hätte zudem nie gedacht, daß dieser Fall derartige Kreise ziehen würde. Eigentlich war es mir darauf angekommen, Mallmanns Aufenthaltsort herauszufinden. Die Hexe hätte mich zu ihm führen können.
Aus persönlichen Gründen hatte sie eben diesen Umweg gemacht, und wir waren nun in diesen Schlamassel hineingeraten.
Eine leere Grube. Zumindest menschenleer. Der graue, struppige Wolf durchstreifte sie noch immer, als würde er irgendwo ein Stück Beute finden, an dem er sich laben konnte.
Zwei seiner Artgenossen waren tot, er hatte überlebt, nahm plötzlich Anlauf und stieß sich ab. Sein Körper schnellte wie ein grauer Schatten hoch. Die Vorderläufe erwischten den Rand, klammerten sich daran fest, hielten auch das Gewicht, und einen Moment später gelang es ihm, sich in die Höhe zu ziehen und aus der Grube zu klettern.
Ich war zurückgewichen und wartete auf die Reaktion des Tieres.
Der Wolf tat nichts.
Er blieb ruhig, er schaute mich an, dann drehte er den Kopf, als könnte er meinen Blick nicht mehr ertragen. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, daß er mich angreifen würde, aber er dachte nicht daran. Beinahe wie ein folgsamer Hund trottete er in meiner Nähe herum und war wenig später im Wald verschwunden.
Zurück blieb ich.
Allein diesmal, und ich fragte mich wieder einmal, ob es richtig gewesen war, hier oben zu warten und darauf zu hoffen, daß Assunga noch einmal zurückkehrte.
Sie hatte das Beste getan, was sie tun konnte. Mit Hilfe ihres Mantels war sie in die Vergangenheit geflohen, obwohl sie sich am selben Ort aufhalten würde, wie ich.
Hatte ich richtig gehandelt?
Ich wußte es nicht. Ich wußte im Prinzip gar nichts mehr, denn es gab auch keinen Punkt, wo ich den Hebel ansetzen konnte. Ich mußte einfach warten und auf die Nacht hoffen, denn sie war schließlich die Zeit der Geister und des Umbruchs.
Meiner Ansicht nach konnte Assunga nicht mehr lange in der anderen Zeit ausharren. Sie würde einfach zurückkehren müssen. Dann war ich da, um sie zu erwarten…
***
Fast wäre der große Vlad Dracula vor die Füße der Hexe Assunga gefallen, als er plötzlich wieder aus dem Nichts erschien und seine Reise hinter sich gebracht hatte.
Er stand wieder da, wo er verschwunden war, schaute sich um, rieb über sein Gesicht, taumelte noch zur Seite und wäre beinahe in seine Blutgrube gestürzt, die wieder Nachschub bekommen hatte und in der sich der Geruch noch mehr intensiviert hatte.
Assunga hielt ihn fest.
Sie lächelte wie eine Siegerin. Es tat ihr gut zu wissen, daß sich der große Tyrann jetzt in ihren Händen befand, und das sahen auch die sechs Frauen, die sich Vlad als neue Gespielinnen ausgesucht hatte, um sich die folgenden Nächte zu verschönern. Sie begriffen kaum, daß die Gefahr für sie vorüber war, denn zwei von ihnen hatten in der Blutgrube des Wahnsinnigen landen sollen, um dort gepfählt zu werden. Das war nun vorbei.
Assunga hatte ihre Hände auf die Schultern der beinahe schmächtigen Gestalt gelegt. Sie schüttelte ihn durch, und dabei bewegte er nickend den Kopf.
»He, komm zu dir!«
Diesen Ton hätte sich niemand erlauben dürfen, aber Assunga sprach so mit ihm. Sie wußte ja, daß sie in diesem Fall wesentlich stärker war als der Blutgraf, der nicht dasselbe Schicksal erleiden wollte wie zwei seiner Soldaten. Sie waren durch die Feuerblicke der Hexe verbrannt und in die Grube auf die noch leeren Pfähle geschleudert worden. Die anderen zwei Soldaten, die Dracula noch hatten helfen wollen, waren nach dieser Tat fluchtartig verschwunden.
Assunga drehte sich. Sie hielt den Despoten noch immer fest, so daß er die Drehung mitmachte.
Er bewegte sich nicht, und er ließ es auch zu, daß Assunga die Brosche unter seinem Hals öffnete und ihm den Mantel von den Schultern nahm. Nicht einmal hastig zog sie ihn über, doch den Triumph auf ihrem Gesicht konnte sie nicht verbergen.
Sie schaute Dracula an.
Er blickte zurück und sah aus, als wollte er etwas sagen, wobei er noch nicht die richtigen Worte gefunden hatte. Sein Blick war stechend und gleichzeitig leer. Er sah aus wie jemand, der an seinen Erinnerungen zu knacken hatte.
Assunga ging zu den Frauen. Sie wollte dem Tyrannen noch Zeit lassen. Dabei fiel ihr Blick auf die Tür. In Höhe des Schlosses war von innen
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