0715 - Tanz der Messer
Lydia.«
»Was?« rief sie. »Ich soll gehen?«
»Ja.«
»Nein, das kann ich nicht. Das ist unmöglich. Ich kann die Kranken hier nicht im Stich lassen.«
»Das ist nobel von Ihnen gedacht. Sie müssen auch daran denken, daß es Ihr Leben ist.«
Jetzt hob sie den Zeigefinger und bewegte ihn hin und her. »Ein Leben, das ich voll und ganz in den Dienst der Kranken gestellt habe«, erklärte sie. »Ich bin nicht so ängstlich, Jane. Wenn sich eine Gefahr zusammenbraut, können Sie auf mich rechnen. Und Sie können sagen, was Sie wollen, ich bleibe. In einer Stunde wird noch eine Hilfe hier erscheinen. Schwester Janine. Sie ist noch in der Ausbildung. Stellen Sie sich vor, was die sagt, wenn Sie mich nicht antrifft. Die Kleine ist völlig überfordert. Sie stellen sich das zu einfach vor.«
»Aber die Gefahr wird…«
»Jane, ich bitte Sie. Welche Gefahr denn?« Die Frau stand auf. »Ich sehe nichts. Es gibt die Gefahr nur in Ihrer Einbildung. Und wenn irgendwelche Typen hier erscheinen, werde ich mir schon zu helfen wissen, glauben Sie mir.« Sie erhob sich, wahrscheinlich wollte sie Jane durch ihre Körpergröße überzeugen. »Die sollen nur kommen. Bei mir laufen sie gegen eine Wand.«
»Das wäre schön«, sagte Jane. »Noch schöner wäre es, wenn ich mich irren würde.«
Lydia klopfte gegen ihre Brust. »In diesem Krankenhaus passiert nichts, darauf können Sie sich verlassen.« Sie wollte an Jane vorbei, aber sie hielt sie am Handgelenk fest.
»Bitte, Lydia…«
»Hören Sie. Ich werde jetzt draußen nachschauen, ob alles in Ordnung ist. Ich muß sowieso nach einem Kranken sehen. Wenn ich zurückkomme und ich nichts gesehen habe, dann können Sie sagen, was Sie wollen, Sie werden mich nicht überzeugen.«
»Ja, ist gut, gehen Sie.«
»Das werde ich auch.«
Sie löste sich von Jane und ging auf die offenstehende Tür zu. Die Detektivin schaute ihr nach und lauschte ihren Schritten. Sie wußte selbst, daß sie viel von Lydia verlangte, vielleicht sogar zu viel, sie hatte auch keine Beweise für ihre These, was andererseits auch positiv war, denn sie wollte nicht unbedingt den Tod auf dieser Station als Besucher haben.
Die Schritte der Krankenschwester waren verstummt.
Dann aber hörte Jane sie wieder. Diesmal anders.
Nicht so glatt und sicher. Unsicher, fast schon torkelnd.
Sie stand auf, drehte sich, schaute zur Tür, und ihre Augen weiteten sich…
***
Ric Torrano lächelte.
Es war ein Lächeln, wie er es öfter von sich gab. Dieses kalte, wissende, triumphierende Grinsen, das so freudlos war und seine Augen nie erreichte.
Er selbst kannte dieses Lächeln gut und setzte es immer dann ein, wenn er dicht vor einer Entscheidung stand.
So wie heute.
Er sah den Jungen nicht einmal als Hindernis an. Dieser Kleine würde für ihn arbeiten, das stand fest. Bevor er die Milchglastür zur Station hin aufdrückte, schaute er auf Suko.
»Alles okay?«
»Ja, wir können.«
»Wie schön.« Und es war auch für den Killer schön, daß die Tür kein Geräusch von sich gab, als er sie nach innen stieß. Bisher ging alles wunderbar glatt, es lief wie am Schnürchen, und Torrano dachte daran, daß der Teufel im Hintergrund saß und die Fäden zog. Auf ihn konnte man sich eben verlassen.
Hinter ihnen schwappte die Tür wieder zu. Von Suko wußte er, wo dieser Sinclair lag. Sein Zimmer lag auf der rechten Seite, wo mehrere Türen das triste Mauerwerk der Wand auflockerten.
Auch an der linken Seite verteilten sich die Krankenzimmer. Ungefähr in der Mitte befand sich ein Raum, dessen Tür offenstand.
Seine Gedanken beschäftigten sich damit. Nicht nur, daß aus dem Raum Licht in den Flur sickerte, er hörte auch Stimmen, und zwar die Stimmen zweier Frauen, die sich unterhielten.
Sie redeten so leise, daß er nichts verstehen konnte. Auch Suko konnte nicht hören, was gesprochen wurde.
Torrano blieb stehen. Er öffnete auch den letzten Knopf des Kittels, damit die Waffen freilagen. Mit der rechten Hand zog er einen Dolch aus der Scheide und ließ ihn auf seiner Handfläche flach liegen. Dabei umspielte wieder ein kantiges Lächeln seine Lippen, und eine Lampe warf einen Lichtreflex auf die Klinge.
Es würde alles klappen, das war sicher. Es mußte einfach klappen, der Teufel deckte ihn.
Beide hörten sie die Schritte.
Die Haltung des Killers spannte sich. Seine Augen schienen plötzlich mit Eis gefüllt zu sein. Die Waffe lag noch immer auf der flachen Hand. Die Schritte drangen von der linken Seite
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