0717 - Das Treibhaus des Schreckens
entreißen muss.«
Willy erschrak zutiefst. Er ließ seine Hände in den Kitteltaschen verschwinden, damit Raskowski das Zittern nicht sah. »Wieso denn, Chef? Warum tun Sie denn das?«
Raskowski wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er musste erst überlegen. »Hör mal zu, Willy, wir sind hier eine Gärtnerei. Wir leben von dem, was wir verkaufen. Das sind nun mal Bäume, Blumen, Stauden und alles, was damit zusammenhängt.«
»Es tut mir aber Leid.«
»Dafür kann ich nichts. Mrs. Fenderman ist eine gute Kundin und sie will eine bestimmte Orchidee haben, Willy. Nur diese Blume will sie kaufen. Es hat sich herumgesprochen, wie gut du bist. Macht dich das nicht stolz?«
Willy senkte den Kopf. »Nein, Chef, es macht mir keinen Spaß. Ich kann mich nicht so leicht von meinen Lieblingen trennen.«
»Soll ich sie herausziehen?«
»Nein, um Himmels willen, nein! Das mache ich schon, Chef. Welche Blume ist es denn?«
»Komm mit, ich zeige sie dir.«
Beide Männer verschwanden zwischen den Beeten. Willy Manson hatte das Gefühl, als wüssten die Pflanzen genau Bescheid, was er von ihnen wollte. Er spürte ihre negative Ausstrahlung, als wären sie schon dabei, sich von ihm abzukehren.
Ausgerechnet vor der herrlichen, wunderschönen roten Orchidee blieb der Mann stehen, streckte den Arm aus und deutete mit dem Finger auf die Blume. »Das ist sie.«
Willy erschrak abermals. »Warum gerade sie?«
Raskowski lachte blechern. »Warum nicht sie? Alle Blumen hier sind zum Verkauf.«
»Aber Sie zerstören ihre Seele, Chef.«
»Reden Sie keinen Unsinn, Willy! Man kann es auch übertreiben. Und jetzt mach, ich will die Kundin nicht länger warten lassen.«
Es tat Willy in der Seele weh, die Blume hergeben zu müssen. Sie war so schön, ein Wunder der Natur. Sie war herrlich gewachsen, bildete mehrere Verzweigungen, die mit prächtigen Blüten bestückt waren und ihre unterschiedlichen Rotfarben wie Flammengrüße dem Betrachter entgegenschickten.
Aber die Zeiten würden sich ändern. Irgendwann würde Willy das Sagen haben. Da würden sich die anderen wundern. Er ließ sich seine Natur nicht wegnehmen. Diese eine Blume wollte er noch hergeben, sonst keine mehr.
Er nahm nicht einmal die Schere, sondern lockerte das Erdreich.
Dann zog er sie behutsam aus dem Boden.
Raskowski räusperte sich unwillig. Ihm dauerte es alles viel zu lange. »Kannst du dich nicht beeilen, Willy?«
»Ja, Chef, ja.«
»Die Kundin wartet. Sie kauft viel bei uns. Ich möchte nicht, dass sie…«
»Es ist alles in Ordnung, Chef, wirklich.« Er hielt die Blume mit beiden Händen fest und drehte sich um. Ein kleiner Ballen Erde umschloss das Wurzelwerk.
»Soll ich sie auch einpacken, Chef?«
»Nein, das nicht. Ich werde das erledigen. Gib die Blume her.«
»Moment, ich werde sie besprayen. Sie soll noch mehr glänzen, wenn die Frau sie bekommt.«
»Ja, auch das.« Raskowski schüttelte den Kopf. Er ließ Willy immer ein wenig Freiheit. Schließlich war er sein bester Mann. Einem anderen hätte er diese Eskapaden nicht erlaubt.
Raskowski ging langsam hinter Willy her. Er war in Gedanken versunken. Die letzte Steuererklärung wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Da musste der Berater noch irgendetwas ändern, da…
Er zuckte zusammen.
Etwas hatte ihn berührt, sogar nach ihm geschnappt und ihn auch erwischt, denn der plötzliche Schmerz zuckte durch seinen Kopf, weil eine Kraft an seinen Haaren gezerrt hatte.
Er blieb stehen und schaute hoch.
Wie ein grünes Dach standen die Blumen über ihm. Sie waren hoch gewachsen und hatten sich vorgebeugt. Als er in die Höhe schielte, kamen ihm die Kelche vor wie Mäuler.
Hatten sie das getan? Er konnte es sich nicht vorstellen. Eine Blume oder vielmehr eine Blüte bewegte sich nicht aus eigener Kraft, die hier sah jedoch aus wie ein Maul. Beinahe böse »blickte« sie auf ihn herab.
Ein Frösteln rann über seinen Rücken. Die Kehle wurde ihm trocken, die Augen brannten. Er hob einen Arm, dann schnappte seine Hand nach der Blüte und drückte sie zusammen. Dabei hatte er das Gefühl, Fleisch mit dünner Haut zusammenzupressen. Er spürte den Saft der zu Brei gewordenen Blüte zwischen den Fingern.
»Scheiße«, sagte er und ging weiter. Seine Hand wischte er an einem Tuch ab.
Plötzlich kam ihm das Treibhaus nicht mehr geheuer vor. Er fühlte sich in ein anderes Reich versetzt, in dem er nichts mehr zu sagen hatte, dafür andere Kräfte.
Willy wartete bereits auf ihn. Er hatte die
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