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0718 - Das Dorf der Toten

0718 - Das Dorf der Toten

Titel: 0718 - Das Dorf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Doyle und Timothy Stahl
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heimlicher Schwarm zum ersten Mal einen Blick und ein Lächeln schenkt und der daraufhin meint, auf Wolken zu tanzen.
    Aber das war es nicht, was hier geschah. Nicht wirklich.
    Vielmehr rührte dieses Mädchen an seinem Beschützerinstinkt. Weckte jenes Vatergefühl, das wohl in jedem Mann mehr oder weniger fest verankert war. Rachel, seine Frau - das wurde Farnsworth in diesem Augenblick so klar, als würde ihm die Erkenntnis mit einem Vorschlaghammer ins Hirn gebläut -hatte dieses Gefühl nie in ihm geweckt und würde es wohl auch nie tun. Sie war zu selbständig, stand zu sehr auf eigenen Beinen im Leben, als dass sie einen väterlichen Freund und Beschützer gebraucht hätte.
    Agnes jedoch, dieses Mädchen, das ihm jetzt eher noch wie ein Kind erschien…
    Farnsworth schalt sich insgeheim einen Narren. Er ließ Agnes' Hand los, so hastig, als hätte sie sich binnen eines Lidschlags in Eis verwandelt. Das kurze Aufflackern von Enttäuschung in ihren dunklen Augen ignorierte er, und vorsichtshalber wandte er auch noch den Blick ab, um sich, durchaus interessiert, in dem Zimmer umzusehen.
    Die Einrichtung als schlicht zu bezeichnen schien fast noch geschmeichelt. Das Mobiliar - ein Tisch, eine Bank, zwei Stühle, ein Schrank - war offenbar aus dem Holz der umliegenden Wälder in Handarbeit gefertigt. An den gleichfalls hölzernen Wänden hing kaum Zierrat. Der Becher und der Teller, die auf dem Tisch standen, wo Agnes vermutlich beim Essen eines schlichten Mahles gesessen hatte, bestanden ebenfalls aus Holz. Die modernsten Stücke hier waren die Petroleumlampe und der eiserne Herd, in dem das Feuer ausgegangen war.
    Farnsworth besann sich wieder der drängenden Fragen, die er Agnes stellen wollte, nein, stellen musste. Hinter seiner Stirn, wo sich alles träge zu drehen schien, klaubte er sie mühsam zusammen wie Blätter, mit denen der Wind sein Spiel treibt.
    Er wollte wissen, was es mit Elkhart auf sich hatte - denn dass hier irgendetwas nicht stimmen konnte , spürte er so deutlich, als läge dieses Etwas greifbar in der Luft.
    Er wollte wissen, ob Agnes oder irgendjemand im Ort dieses Wesen, wegen dem er überhaupt hierher gekommen war, kannte oder wenigstens schon einmal davon gehört hatte. Er wollte wissen, warum Agnes offenbar fließend Deutsch, aber nur mangelhaft Englisch sprach. Er wollte wissen, was eine Frau wie sie in einem Ort wie diesem hielt.
    Und er wollte vor allem wissen…
    »Was hat es mit diesem - Denkmal da draußen auf sich, Miss Brunner?«
    Allein der Gedanke daran - und an das, was der Anblick in ihm ausgelöst hatte - vertrieb den allerletzten Rest illusionärer Wärme aus Lance Farnsworth' Körper. Er schauderte sogar. Dennoch ging er an Agnes vorbei, übersah ihren Versuch, ihn am Arm zurückzuhalten, und trat nah ans Fenster.
    Im ersten Moment sah er nichts - oder vielmehr nur ein durchscheinendes Abbild dessen, was hinter seinem Rücken lag, eine Spiegelung des spartanisch eingerichteten Zimmers.
    Farnsworth beugte sich vor, bis seine Nase die Scheibe fast berührte, schirmte seine Augen mit beiden Händen gegen das Streulicht der Petroleumlampe ab, um einen besseren Blick nach draußen zu bekommen.
    Dann sah er…
    Im allerersten Moment glaubte Farnsworth, es sei eine Spiegelung seines eigenen Gesichts.
    Noch in derselben Sekunde aber erkannte er seinen Irrtum - und schrie auf, prallte zurück!
    Das Gesicht vor dem Fenster blieb.
    Ein blasses, wächsern wirkendes Gesicht mit Augen, die tief in ihren Höhlen ruhten, ihr Blau ein Schimmern wie von Eis am Grund einer Schlucht.
    Dennoch fühlte Farnsworth ihren Blick brennend auf sich.
    Mehr berührt fühlte er sich jedoch von dem Ausdruck, der auf diesem Gesicht nicht einfach nur lag, sondern wie eingeprägt schien. Ein Ausdruck tiefer Trauer und Traurigkeit umflorte diesen Mann, der vor dem Fenster stand und unverwandt hereinstarrte - ihn, Farnsworth, anstarrte.
    Leichenbittermiene…
    Farnsworth schluckte. Er hatte das unleugbare Gefühl, dass diese Miene, die nur stummes Bedauern ausdrückte, ihm galt.
    Und hinter ihm flüsterte Agnes mit bebenden Lippen und mädchenhaft hoher Stimme - auf Deutsch zwar, aber dennoch für Farnsworth beinahe intuitiv verständlich:
    »Nein, Meister Nestor… bitte… bitte nicht… nicht ihn…«
    ***
    Lance Farnsworth starrte immer noch aus dem Fenster, obwohl das Gesicht dort draußen längst verschwunden war.
    Es klopfte.
    Meister Nestor…, hallte es in seinem Schädel nach.
    Langsam drehte er

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