0718 - Das Dorf der Toten

prunkvoller als all die anderen Gebäude der Nachbarschaft.
    Agnes klopfte an die Tür. Die Farnsworth bereits bekannte Stimme rief etwas, wahrscheinlich die Aufforderung einzutreten.
    Hinter Agnes betrat Farnsworth eine geräumige Wohnküche. Im Herd flackerte ein Feuer. Aber es strahlte keine Wärme aus.
    Meister Nestor sagte etwas. »Sie sollen setzen hin«, vermittelte Agnes, die nah der Tür stehen blieb und sie hinter Farnsworth schloss.
    Der bleiche Mann saß an einem klobigen Tisch. Zwei hölzerne Humpen, ein Krug, ein Brotlaib und Teller standen darauf. Vor Meister Nestor lag ein Messer. Nachdem sich Farnsworth zögernd auf einen Schemel gesetzt hatte, schnitt sein Gegenüber den Laib an.
    Erst jetzt wurde Farnsworth bewusst, wie hungrig er war. Zudem duftete das Brot verführerisch, als wäre es frisch gebacken.
    Meister Nestor nahm die Scheibe und legte sie vor sich auf den Teller. Das Messer landete neben dem Laib auf dem Tisch - was Farnsworth absurderweise beruhigte - und im Anschluss hob der bleiche Mann den Krug an, um die Becher zu füllen.
    Wasser, dachte der Kryptozoologe, als er die kristallklare Flüssigkeit im Schein mehrerer Petroleumlampen schimmern sah. Sie scheinen nicht nur Technik und Elektrizität zu verpönen. Ein guter Wein wäre ihm jetzt lieber gewesen.
    Meister Nestor hob seinen Becher und nickte Farnsworth wortlos zu.
    Der wiederum beschloss, darauf einzugehen und keinen Unfrieden durch Unhöflichkeit zu säen.
    Das Wasser, das seine Kehle netzte, war eiskalt, als wäre es gerade geschmolzener Schnee. Es schmeckte leicht bitter.
    Farnsworth sah darüber hinweg.
    Meister Nestor brach sein Brot in zwei gleichgroße Hälften. Eine davon legte er vor Farnsworth auf den Teller, die andere führte er zum Mund.
    Farnsworth begriff, dass Agnes diese Geste als »das Brot miteinander teilen« gemeint hatte. Er beeilte sich, ebenfalls ein Stück abzubeißen und zu kauen. Es schmeckte nicht halb so gut, wie es duftete. Eigentlich war es scheußlich - das furchtbarste Brot, das Farnsworth je probiert hatte.
    Er ließ es sich nicht anmerken.
    Meister Nestor betrachtete ihn unentwegt. Plötzlich fragte er etwas, das Agnes, die weder Platz noch Essen oder Trinken angeboten bekam, getreulich übersetzte: »Was sind Sie hier zu suchen, er will wissen.«
    Farnsworth hatte das vage Gefühl, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Er setzte sich gerade, vergaß das Brot.
    »Ich bin eine Art Jäger«, sagte er. »Ich suche Tierarten, die eigentlich als ausgestorben gelten.«
    »Hier?«, fragte Meister Nestor, nachdem Agnes es übersetzt hatte.
    Dieses »Hier?« bedurfte keiner Übersetzung. Es entsprach seinem englischen Pendant.
    Farnsworth nickte. Er kramte in seiner Jacke und förderte das Bild zutage, das der Auslöser seiner Suche gewesen war.
    Er schob es über den Tisch hinweg auf Meister Nestor zu…
    Dessen Züge nach einem flüchtigen Blick auf das Foto entgleisten. Dann schrie er etwas, das wie »Frefler!« klang. Er stützte die Fäuste auf die Tischplatte und stemmte seinen Körper nach oben.
    Farnsworth war so verblüfft, dass er sitzen blieb. Der Schweiß brach ihm aus.
    Meister Nestor fauchte Agnes an, die sich umdrehte und das Haus verließ.
    »Halt, Agnes - warte! Du kannst mich nicht einfach…«
    Farnsworth spürte, wie seine Zunge erlahmte. Die Kraft aus seinem Körper wich. Eine Art Schüttelfrost ihn packte.
    Sein Körper schien von einer Sekunde auf die andere glutheiß zu werden, zu fiebern. Farnsworth rang nach Duft. Der Raum schien von ihm abzurücken. Ihm war schlecht.
    Meister Nestor stand noch immer auf der anderen Tischseite. Er wirkte bekümmert. Aber auf beklemmende Weise auch unerbittlich.
    Seine Hand griff das Foto auf. Ohne es sich noch einmal anzusehen, ging er damit zum Feuer und warf es hinein. Das Bild loderte auf und schrumpfte zu Asche.
    Farnsworth indes begriff, dass er nicht nur Wasser und Brot zu sich genommen hatte. Sondern ebenfalls eine Chemikalie.
    Gift!
    Er versuchte aufzustehen. Es gelang nicht. Seine Handballen, auf die er sich stützen wollte, rutschten kraftlos über die Tischplatte.
    In diesem Moment löste sich etwas aus der Wand hinter Meister Nestor. Es sah aus wie der Fleck auf dem Foto, das gerade verbrannt war.
    Und wie der Schemen, der vor Farnsworth’ Wagen über die nächtliche Straße gehuscht war.
    Das Phantom ignorierte Meister Nestor, aber nicht den Fremden, der in Elkhart unerwünscht war. Es setzte sich auf den Schemel, auf dem