072 - Das Horror Palais von Wien
schien. Experimente – an Menschen… Mit Sandra Kaintz zum
Beispiel… und auch mit ihr! Sie war in eine Falle gegangen. Und die
schloß sich in dem Moment, als sie glaubte, ihre Gedanken und Gefühle gegen die
Benommenheit ins Feld führen zu können. Ein Schatten war vor ihr!
Sie
wurde gepackt und herumgerissen, und dann senkte sich auch schon eine lange
Nadel in ihre Armvene. Evi Strugatzki kam nicht mal mehr zum Schreien. Sie riß
die Augen auf und starrte auf die Gestalt, die sie mit leisem Lachen
zurückstieß und eine große Spritze in der Hand hielt. Wie hinter einem grauen
Schleier, der schnell an Dichte zunahm, erkannte Evi Strugatzki die
schemenhaften Umrisse einer großen, hageren Frau, die seltsam grau und
verwaschen wirkte. Ein häßlich klingendes Lachen drang an die Ohren der
Zwanzigjährigen, die lautlos zusammenbrach und reglos neben der Bahre liegen
blieb, auf der Sandra Kaintz stumm und starr wie eine akupunktierte Statue lag.
●
Die
Maschine aus New York traf planmäßig auf dem Flughafen Wien-Schwechat ein.
Unter den Passagieren, die gegen elf Uhr vormittags das Flugzeug verließen,
befand sich auch ein Mann, der durch seine äußere Erscheinung, seinen
kraftvollen Schritt und seine Größe auffiel. Das war Iwan Kunaritschew alias
X-RAY-7. Noch in der Nacht hatte er sich entschlossen, zwei Urlaubstage
einzuplanen um nach Wien zu fliegen. X-RAY-1, der geheimnisvolle Leiter der
PSA, war mit der Reise Kunaritschews nach Wien einverstanden. Iwan suchte,
nachdem er sein Gepäck abgeholt hatte, die Zollabfertigungsstelle auf. Er
fragte nach einer auf seinen Namen lautenden Sendung, die angeblich von ihm
hier abgeholt worden sei. Der Beamte, ein hagerer Mann mit grauer Gesichtshaut,
stutzte einen Moment, als fiele ihm etwas ein, holte dann ein Buch hervor und
sah in den Aufzeichnungen nach. Dann holte er aus einem Ordner eine
Bescheinigung.
»Sie
müssen sich irren, Herr Kunaritschew… aber Sie selbst haben die Sendung schon
abgeholt.«
»Ich
war seit Monaten nicht mehr in Wien!«
Der
österreichische Zollbeamte verzog keine Miene. »Für solcherart Scherze habe ich
nichts übrig… Sehen Sie selbst! Die Empfangsbescheinigung ist von Ihnen
unterschrieben.« Iwan warf einen Blick auf das ihm vorgelegte Formular. »Das
ist nicht meine Unterschrift!«
Der
Zollbeamte schnappte nach Luft. »Sie haben sich mir gegenüber ausgewiesen! Ich
kann mich ganz genau an Sie erinnern… Ihr Konterfei vergißt man nicht so schnell…
Ihre Statur, der rote Vollbart. Sie haben mir sogar Ihre Wiener
Anschrift hinterlassen.«
»Das
ist vielleicht interessant«, staunte Iwan Kunaritschew, dem das Ganze immer
mysteriöser vorkam. »Und wie lautet sie?«
»Naglergasse…
Cernay Palais.«
●
X-RAY-7
fuhr mit dem Taxi sofort dorthin. Am Beginn der Straße ließ Iwan sich absetzen
und ging an den alten, engstehenden Häusern entlang bis zum Ende der Straße.
Sie endete dort in einem Wendehammer und vor der Toreinfahrt eines gelben
Palais, über dessen Eingang ein großer Balkon klebte. Auf dem Weg nach hinten
kam Kunaritschew an mehreren parkenden Fahrzeugen vorbei. Auch an
einem roten 2CV mit Stoffdach. Es war das Vehikel Sandra Kaintz, die letzte
Nacht bis zu dieser Stelle gefahren war und ihr Fahrzeug verlassen hatte. Aber
von alledem wußte der Russe nichts. Er betrat die Einfahrt. Zu beiden Seiten
lagen Treppenaufgänge, die in das u-förmig gebaute Palais führten. Links lag
Stiege A, rechts Stiege B. Geradeaus weiter kam man in den großen, düsteren Innenhof,
in dem zwei uralte Kastanienbäume mit mächtigen Wipfeln bis in die vierte Etage
ragten. Rechts unter einem Vorbau standen zwei alte Kutschen, wie sie früher
von Pferden gezogen wurden. Sie sahen morsch und verwittert aus. Die
Metallbeschläge waren verrostet, die Farbe von Wind und Wetter ausgewaschen.
Zwischen dem klobigen Kopfsteinpflaster wuchsen dicke Grasbüschel und Unkraut.
Die Wände unterhalb der von Schmutz und Staub blinden Fenster waren grün
angelaufen. Alles machte einen toten, verlassenen Eindruck.
Kunaritschew
ging in die Toreinfahrt zurück und studierte die Namensschilder außerhalb der
Eingangstüren. Nur wenige Wohnungen waren wegen des offensichtlich schlechten
Zustandes des Gebäudekomplexes vermietet. Ein weißes Emailleschild mit der Aufschrift Hausmeister, Stiege A, erste Etage, weckte sein Interesse. Der Russe
stieg über die gewundenen Treppen nach oben und klingelte an der betreffenden
Tür. Alles in
Weitere Kostenlose Bücher