072 - Das Horror Palais von Wien
höchstpersönlich eine für ihn bestimmte Sendung dort abgeholt hat.
Und das zu einem Zeitpunkt, als ich mich noch in der Maschine auf dem Weg nach
New York befand! Mysteriös, was?«
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»Hier
bin ich zu Hause«, sagte Paul Graf von Cernay und bog die Vorhänge zur Seite.
Durch das kleine Türfenster war ein Teil des rückwärtigen Palais zu sehen. Über
dem altmodischen Eingang befand sich ein vorspringendes, schützendes Dach,
links und rechts neben der Tür glühten schwach verschnörkelte Laternen, wie sie
im vorigen Jahrhundert üblich waren. Evi Strugatzki beugte sich ein wenig vor.
»Darf ich dich noch zu einem Drink einladen?« Der junge Mann streichelte über
ihr seidig schimmerndes, blondes Haar. »Wenn es nur bei einem Drink bleibt…
gern«, erwiderte die Zwanzigjährige verschmitzt und hob die Augenbrauen. »Zu
spät sollte ich nicht nach Hause kommen… meine Eltern sorgen sich.«
»Ich
habe dich zu einer Kutschfahrt eingeladen, sicher hierherbringen lassen und
werde dich auch sicher wieder nach Hause geleiten… Auf eine halbe Stunde also?«
»Ja«,
jauchte Evi Strugatzki.
Der
Graf stieg aus, reichte ihr die Hand und war ihr beim Ausstieg über die
schmalen Trittbretter behilflich. Dumpf und hölzern fiel die Tür ins Schloß.
Paul Graf von Cernay öffnete die Haustür und ließ Evi an sich vorbeigehen.
Mehrere Treppen führten auf einen geräumigen Korridor, wo zwei große weiße
Türen mündeten. Hier gab es gleichzeitig auch einen Treppenaufgang, der in
weitem, schwungvollem Bogen in die oberen Stockwerke wies. »Wir gehen nach
oben«, sagte Evis Begleiter. »Hier unten wohnt niemand. Das sind alles mehr
oder weniger riesige Rumpelkammern, die bei Gelegenheit mal durchforstet werden
müssen. Das Palais war lange nicht bewohnt, und ich wünsche mir nichts sehnlicher,
als es so schnell wie möglich wieder in den alten Zustand zu versetzen. Es wird
viel Geld kosten, aber ich werde es schaffen.«
Die
Treppen waren breit genug, so daß von Cernay und Evi Strugatzki bequem
nebeneinander gehen konnten. Auf dem Treppenabsatz zur ersten Etage geschah es…
Das Licht erlosch, und es wurde plötzlich so finster, daß man keine Hand
vor Augen sehen konnte. Evi zuckte zusammen. »Was ist denn jetzt passiert?«
fragte sie erschrocken und faßte in der Dunkelheit unwillkürlich nach dem Arm
ihres Begleiters. »Du brauchst keine Angst zu haben… das kommt manchmal hier
vor«, sagte der Mann an ihrer Seite mit ruhiger Stimme. »Plötzlich gehen
Lichter an oder aus… oder Lampen fangen an zu wackeln und hin und
herzupendeln.«
»Das
ist ja… unheimlich«, meinte Evi leise. Ihre Augen begannen, sich an die
Dunkelheit zu gewöhnen.
»Nein,
amüsant…«, hörte sie seine heitere Stimme neben sich. »Es wird erzählt, daß es
hier im Palais spuke… Das interessiert mich natürlich brennend. Angst braucht
man vor den Erscheinungen und Vorgängen nicht zu haben, Evi… sie treten auf und
verschwinden wieder.«
»Ich
war noch nie in einem Gespensterhaus.«
»Na
also! Dann erlebst du das auch mal… Das Licht wird jeden Augenblick wieder
angehen.«
Cernay
zog Evi an sich und küßte sie zärtlich. Sie spürte seine Lippen auf den ihren,
war mit ihren Gedanken aber nicht ganz bei der Sache. Die junge Frau hoffte,
daß das Licht anginge. Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Evi merkte, daß
sie schläfrig wurde und führte das auf die alkoholischen Getränke zurück, die
sie in dieser Nacht zu sich genommen hatte. Sie war nicht mehr standfest auf
ihren Beinen.
»Warte
hier einen Moment auf mich… ich bin sofort wieder zurück… Vielleicht ist auch
nur die Sicherung rausgeflogen. In altersschwachen Häusern muß man auch mit so
was rechnen. Bis gleich.« Mit diesen Worten ließ er sie los. Evi Strugatzki
wollte etwas sagen, unterließ es aber, um sich nicht lächerlich zu machen.
Aufgrund seiner Worte empfand sie ein gewisses Unbehagen bei dem Gedanken,
allein in dem großen alten Haus zurückzubleiben. Das Gerede von dem Spuk
beschäftigte sie und ging ihr nicht aus dem Kopf. Evi hörte, wie Paul nach
unten lief. Seine Schritte verhallten. Dann klappte irgendwo in der Ferne eine
Tür. Stille…
Evi
hörte ihr eigenes Atmen. Unruhe und Ängstlichkeit nahmen zu. Ebenso das
Bedürfnis nach Schlaf. Es war eine Schnapsidee gewesen, so spät noch
mitzufahren. Sie gähnte und lehnte sich an die Wand. Durch die schmalen, hohen
Fenster fiel kaum Lichtschein. Der Innenhof des Palais lag
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