072 - Die Schlangengöttin
Blick.
Der Schotte glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Die Höhle hatte sich erweitert, führte jetzt bis in finstere, nicht mehr wahrnehmbare Tiefen in den Berg hinein. Ehe er noch sein Staunen überwunden hatte, hörte er vor dem Eingang der Höhle ein vielfältiges Zischen. Schuppige Leiber ringelten sich dort. Schlangen glitten auf Malcolm Pratten und Xenia zu, Dutzende, und es wurden immer mehr. Die Höhlenwände waren porös geworden, aus unzähligen Löchern krochen Schlangen. Malcolm Pratten hörte das Rasseln von Klapperschlangen, er sah hochgiftige Brillenschlangen, ein paar Schwarze Mambas und grüne Buschmeister. Auch eine armdicke Anakonda war unter der Schuppenbrut. Nur im Hintergrund der Höhle befanden sich keine Schlangen.
Xenia sprang auf und schrie. Sie flüchtete schreiend in die Höhle hinein. Malcolm Pratten folgte ihr, und die Schlangen glitten hinter ihm her.
Xenia rannte immer tiefer in den Berg hinein. Sie kamen in einen Irrgarten aus Höhlengängen, in denen ein diffuses Zwielicht herrschte.
Der lange Schotte lief hinter Xenia her, die Schlangenbrut verfolgte die beiden. Malcolm fragte sich, ob er vielleicht einen Horrortrip hatte. Er hatte gelegentlich LSD genommen und wußte, daß es unter Umständen lange nach der Einnahme zu Rauschwirkungen kommen konnte. Aber Malcolms letzter LSD-Trip lag schon über sechs Wochen zurück, und die Schlangen waren zu realistisch. Als der Schotte einmal stolperte, hinfiel und sich das Knie aufschlug, war der Schmerz echt.
Entweder kamen die Schlangen unwahrscheinlich schnell voran, oder in dem Labyrinth im Berg lauerten weitere von den Biestern. Eine war plötzlich bei Malcolm Pratten. Sie biß ihn in die Wade. Der Schotte packte sie hinter dem Kopf und drückte zu. Das Reptil zischte ihn an, bis er den Schlangenschädel an der Felswand zerschmetterte. Voller Ekel schleuderte er den zuckenden Leib von sich.
Durch dieses Intermezzo hatte Malcolm Xenia aus den Augen verloren. Die Bißwunde an seinem Bein schmerzte nicht sehr. Offenbar hatte es sich um keine Giftschlange gehandelt.
Malcolm lief weiter und rief Xenias Namen. Das Echo hallte von den Felswänden wider. Der Schotte kam an eine Stelle, wo viele Gänge sich trafen, und zauderte. Weit vor sich sah er ein helleres Licht, und er hörte den Klang von Trommeln und Pfeifen.
Malcolm näherte sich der Lichtquelle. Das Trommeln und Pfeifen wurde lauter. Der Schotte stand am Eingang einer großen Höhle, von deren Decke Stalaktiten hingen. In der Mitte der Höhle lag ein Felsblock, und auf diesem stand, von hellem Licht umgeben, eine kleine Figur.
Der rotbärtige lange Schotte näherte sich ihr, wie magisch angezogen. Es war eine fußgroße Fayencestatue, die eine Schlangengöttin darstellte - eine bildschöne Frau mit entblößten Brüsten, die in jeder Hand eine Schlange hielt und um deren Körper sich ein Schlangenleib wand. Ein eigenartiges Funkeln war in den Augen der Statuette, so als sei Leben in ihr. Das Trommeln und Pfeifen schwoll zu einer grauenhaften Kakophonie an. Malcolm konnte nicht feststellen, woher die Töne kamen.
Er trat auf die Statue der Schlangengöttin zu und schaute in die boshaft funkelnden Augen. Da hörte er ein Zischen, das so laut klang wie das eines Dampfkessels und die ganze Höhle erfüllte.
Der Schotte wirbelte herum. Aus einer Nebenhöhle war eine Riesenschlange geglitten, groß genug, um ein ganzes Pferd hinunterschlingen zu können. Ihre Haut schillerte in allen Regenbogenfarben. Die boshaft funkelnden Augen waren die gleichen wie die der Schlangengöttin.
Malcolm Stratten wich vor dem Ungeheuer zurück. Es trieb ihn auf den Höhlengang zu, durch den er gekommen war. Von den fast armlangen zwei Zähnen im Oberkiefer der Riesenschlange tropfte giftgrüner Geifer. Wieder zischte die Schlange, und da hörte der lange Schotte auch hinter sich und um sich herum das Gleiten der schuppigen Leiber und das Gezischel. Aus allen Höhlengängen quoll die Schlangenbrut.
Malcolm brüllte. Es gab kein Entkommen mehr.
Der Schotte schlug um sich und zertrat ein paar Schlangen, Dann ringelte sich eine große Boa constrictor um seine Beine und brachte ihn zu Fall.
Wie eine Flut überschwemmten ihn die Schlangenleiber. Der Schotte schrie wie ein Wahnsinniger. Viele Zähne bissen ihn, und Schlangengift raste durch seine Adern. Sein Körper brannte. Das Gezische war das letzte, was er hörte.
Der durchdringende, scheußliche Moschusgeruch und der stinkende Atem der
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