0720 - Teufelsnächte
von hier.«
»Wie viele Leute werden da sein?«
Lass mich doch endlich in Ruhe, dachte Johnny und schloss müde die Augen.
»Wir alle«, murmelte er. »Ian, Debbie, Rachel, Kenneth, Pete… Nein, der wohl nicht… Aber sonst wird es sein wie jedes Jahr.«
Er hörte Zamorras entfernte Stimme und seine eigene wie durch Watte. Irgendwann wurde es still.
Als Johnny das nächste Mal die Augen öffnete, beugten sich zwei Rettungssanitäter über ihn. Zamorra war verschwunden und er hatte keine Ahnung, was er ihm erzählt hatte.
***
Die leise surrende Mechanik hob Kenneth mitsamt seinem Rollstuhl durch die Hecktür in den Van. Er lenkte den Stuhl bis nach vorn vors Lenkrad und verankerte ihn dort. Per Knopfdruck wurde die Heckklappe geschlossen, die Mini-Rampe war ja schon »eingeklappt«, und die Hydraulik hob die Heckpartie des Vans wieder auf normales Niveau an.
Debbie und Ian hatten ihm das Auto vor einigen Jahren nach dem Ritual geschenkt. Jedes Mal, wenn er sich hineinsetzte, dachte er daran, wie peinlich es ihm gewesen war, von den Almosen anderer abhängig zu sein. Seine Mutter ließ ihn kostenlos wohnen, seine Freunde schenkten ihm ein Auto und zahlten sogar Steuer und Versicherung, und er hatte nichts, was er ihnen geben konnte.
Aber heute Abend gebe ich ihnen ihr Leben zurück, dachte er. Damit ist meine Schuld bezahlt.
Kenneth startete den Motor. Trotz der ungewöhnlichen Kälte war ihm warm, und er konnte seinen Pulsschlag in den Schläfen spüren. Er gestand sich ein, dass er weniger Angst vor dem Ritual hatte als vor der Aussicht, wie sich sein Leben danach verändern würde. Zwanzig Jahre lang hatte er für eine Aufgabe gelebt, und er fürchtete sich vor der Leere, die ihn nach dieser Nacht erwartete.
Seiner Mutter hatte er gesagt, es läge ein neues Leben vor ihm. Er hätte nur zu gerne gewusst, wie es aussah.
Der Verkehr hatte nachgelassen, jetzt, wo die Geschäfte geschlossen waren. Trotzdem umfuhr Kenneth die Innenstadt, um nicht so kurz vor dem Ritual zufällig in einen Stau zu geraten. Seine Gedanken wandten sich Timble zu, der seit einigen Tagen sehr labil wirkte. Das letzte Telefonat hatte er vor einigen Stunden mit ihm geführt und bis jetzt nichts mehr gehört.
Kenneth hoffte, dass das ein gutes Zeichen war.
Er stoppte an einer Ampel und tastete nach den Gegenständen in der Seitentasche seines Rollstuhls. Nur drei Dinge hatte er eingepackt, bevor er das Haus verließ: eine schwarze Kerze, so wie es Lugosi verlangte, das magische Buch mit der Beschwörung, sollte er sich vor lauter Aufregung nicht mehr an die Worte erinnern, und die Armeepistole seines verstorbenen Vaters.
Nur zur Sicherheit, dachte Kenneth.
***
Rachel und Debbie fuhren wie jedes Jahr gemeinsam zum Ritual. Die schwarzen Kutten lagen auf Rachels Knien, die Aktenkoffer mit dem Geld standen im Fußraum. Debbie steuerte die Rover-Limousine und hing ihren Gedanken nach. Es überraschte und besorgte sie, dass Ian sich nicht bei ihr gemeldet hatte. Entweder hatte er den Parapsychologen - sie versuchte sich an seinen Namen zu erinnern, aber er fiel ihr nicht ein - verpasst oder das Telefonat mit ihm hatte sich anders entwickelt, als Ian gehofft hatte.
»Nächstes Jahr werde ich das Geld nicht aufbringen können«, sagte Rachel unvermittelt. Ihr Gesicht war weiß im Licht der Straßenlampen.
Debbie warf ihr einen kurzen Blick zu. »Es vergeht noch viel Zeit bis zum nächsten Dezember. Wir lassen uns etwas einfallen.«
Sie wusste, dass auch sie und Ian nicht mehr länger als zwei, höchstens drei Jahre durchhalten konnten, dann hatten die Summen eine unbezahlbare Höhe erreicht. Schon oft hatte sie darüber nachgedacht, einfach alles zu verkaufen und sich in ein anderes Land abzusetzen, irgendwohin, wo selbst Lugosi sie nicht finden konnte. Aber sie hatte es nie getan, ebenso wie alle anderen in der Stadt geblieben waren. Vielleicht, weil sie hofften, dass die Einladungen eines Tages enden würden, vielleicht aber auch, weil sie sich fürchteten, Lugosi allein entgegentreten zu müssen.
Debbie bog in eine schmale Straße ein. Highford Cemetery lag in einem versteckten Winkel am Rande der Stadt, halb verborgen von hohen Laubbäumen. Es war ein alter Friedhof, auf dem seit über zwanzig Jahren niemand mehr beigesetzt wurde. Sie fragte sich, ob er in der Szene immer noch als Treffpunkt genutzt wurde, so wie sie es damals getan hatten.
Die Scheinwerfer ihres Wagens strichen über einen kleinen Parkplatz und erfassten einen
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