0724 - Der Stasi-Vampir
Mir aber geht es um die Zeit vor dem Verschwinden.«
»Wieso?«
»Das will ich Ihnen erklären. Meiner Absicht nach müssen die Kräfte auf der anderen Seite einen bestimmten Grund gehabt haben, sich gerade an Ihre Frau zu wenden.«
»Meinen Sie?«
»Sicher. Deshalb will ich wissen, was sie beruflich getan hat? Konnte sie etwas dabei in Erfahrung bringen?«
Er schaute zum Fenster. »Helga arbeitete in einer Exportfirma als Sekretärin und Dolmetscherin. Sie stand schon in einer verantwortlichen Position.«
»Wo sie auch mit dem Stasi Verbindung hatte?«
»Kann sein.«
»Hat sie nie darüber gesprochen?«
»Nicht mit mir.«
Ich faßte den Komplex anders an. »Wenn Sie an die Tage vor der Entführung denken, wissen Sie vielleicht, ob sich Ihre Frau da verändert hat? Gab sie sich normal, tat sie alles wie immer?«
»Sie verlangen viel.«
»Überlegen Sie. Es ist wichtig.«
Ich ließ ihm Zeit, und er strengte sich wirklich an. Einige Male sah es so aus, als wollte er sprechen, doch er hielt seine Worte zurück. Er fand nicht den Bogen.
»Jede Kleinigkeit kann wichtig sein«, stand ich ihm bei.
»Es liegt alles so lange zurück, aber je mehr ich darüber nachdenke, um so intensiver fallen mir die Situationen wieder ein. Sie selbst war kaum anders, aber die Umstände.«
»Na bitte.«
»Das ist doch kein Beweis. Jedenfalls hat Helga kurz vor ihrem Verschwinden immer viele Überstunden gemacht. Das kam öfter vor, aber nicht so gehäuft. Ich dachte, daß ein anderer Mann dahinter stecken würde, doch der Verdacht wurde mir genommen. Es gab keinen anderen Mann. Sie hatte tatsächlich viel zu tun. Einmal hat sie sogar von einer großen Sache gesprochen.«
»Haben Sie nachgefragt.«
»Ja, ich war neugierig, aber sie hat nur den Kopf geschüttelt. Das Wort Verschwörung fiel auch.«
»Wer verschwor sich gegen wen?«
»Da fragen Sie mich zuviel, das weiß ich nicht. Jedenfalls erinnere ich mich daran.«
»Und was passierte noch? Zum Beispiel an dem Tag, als sie verschwand? Gab es da etwas Besonderes.«
»Nur die Überstunden. Doch daran hatte ich mich mittlerweile gewöhnt. Nur dauerten sie in diesem Fall eben zehn Jahre.«
»Sie kehrte also nicht zurück.«
»So ist es.«
»Und sie erstatteten Vermißtenanzeige, wobei man Ihnen kein Wort glaubte.«
»Das stimmt auch.«
Ich wollte von ihm wissen, ob diese Exportfirma noch existierte, aber Stoßflug schüttelte den Kopf.
»Nein, sofort nach der Wende löste man sie auf.«
»Die Treuhand?«
»Sie selbst. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, daß es keine richtige Firma war, sondern eine Stasi-Zentrale oder Filiale.«
»Da könnten Sie recht haben. Kennen Sie Kollegen Ihrer Frau, an die wir uns wenden könnten?«
Er rieb seine Hände gegeneinander und schaute dann auf seine Fingernägel. »Möglich ist das schon, aber meine Frau hatte auch keinen Kontakt mit ihren Kollegen. Ich denke da an den privaten. Sie hat auch nie jemand zu uns eingeladen.«
»War sie denn so scheu?«
»Das weiß ich auch nicht. Sie wollte am Abend ihre Ruhe haben, das ist es gewesen.«
»Schade.«
Er schaute mich an. »Darf ich fragen, was Sie jetzt tun werden? Sie wollen den Fall doch lösen.«
»Richtig. Ich spreche jetzt nur für mich, rechne aber damit, daß mein Kollege einverstanden sein wird. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werden wir in Ihrer Nähe bleiben, Herr Stoßflug.«
»In meiner Wohnung also?«
»Das dachte ich mir.«
Er überlegte, hob die Arme, ließ sie wieder fallen. »Nun ja, es ist keine Luxusherberge. Rechnen Sie denn tatsächlich damit, daß Helga wieder zurückkehrt?«
»Bestimmt.«
»Und warum?«
»Weil Sie ein Zeuge sind, Herr Stoßflug. Sie haben nicht nur sie gesehen, auch den anderen.«
Er faßte sich an den Hals. Meine ehrlichen Worte hatten ihn etwas geschockt. Um ihn von seinen trüben Gedanken abzubringen, erkundigte ich mich nach dem Namen des ehemaligen Chefs seiner Frau. »Den werden Sie doch kennen.«
»Ja, er hieß Rico.«
»Und wie weiter?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Macht nichts. Jedenfalls haben Sie ihn nach dem Verschwinden Ihrer Frau nicht mehr gesehen, oder doch?«
»Nie mehr.«
Vom Flur drangen Geräusche herein. Harry Stahl kehrte zurück, im Schlepptau einige Kollegen. Ich lernte auch den Oberwachtmeister Uwe Kleist kennen, der die Meldung weitergeleitet hatte. Den Schock über Heinrichs Tod hatte er ebenso wenig überwunden wie seine Kollegen, die die Leiche in eine Plastikbadewanne legten und dann das
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