0724 - Der Stasi-Vampir
die Sache, die vor zehn Jahren geschehen ist?«
»Genau die. Ich las in dem Protokoll, daß damals Ihre Frau verschwand und sie Helga erst vor kurzem als Vampir wiedergesehen haben. Ihrer Meinung nach hat der Staatssicherheitsdienst dabei seine Finger mit im Spiel gehabt.«
»Das kann ich nicht beweisen. Ich glaube aber daran. Jetzt mehr den je«, meinte er. Er preßte seine Finger gegen die Augen, als wollte er sie tief in die Höhlen zurückdrücken. Dann senkte er den Kopf. Seine Hand zuckte in Richtung Flasche, er ließ sie aber stehen und zupfte dafür die dunkelrote Strickjacke zurecht, die über seiner Schulter hing. Dann begann er zu reden. Er schaute uns dabei nicht an, sprach von den früheren Jahren, von seiner Angst, von seinem Leid, das ihn beinahe depressiv gemacht hatte, und er kam dann auf die Gegenwart zu sprechen, auf den Abend, an dem er seine Frau Helga als Vampir vor seinem Fenster hatte schweben sehen. Und dabei blieb er, als ich mich erkundigte, ob er sich nicht getäuscht hatte.
»Nein, sie ist da. Ich will nicht sagen, daß sie lebt, das kann man ja kein Leben nennen, aber sie ist da.«
»Und weiter?«
Er berichtete von seinen Erfahrungen mit der Polizei, lobte einerseits den Kollegen Kleist und schimpfte haßerfüllt über einen gewissen Heinrich, der ihn schon zu SED-Zeiten nie gemocht und auch damals den Fall bearbeitet hatte.
»Er hat etwas gewußt«, sagte Stoßflug. Dabei ballte er seine Hände zu Fäusten.
»Woher wissen Sie das?«
Er schaute den Kommissar an. »Ich… ich kann es sogar beweisen, denn ich habe ihn umgebracht.«
Wir reagierten nicht. Auch ich, der ich wirklich daran gewöhnt war, Überraschungen zu erleben, saß zunächst starr und schweigend auf meinem Stuhl. Erst nach einer Weile hatte ich mich wieder gefangen und wollte wissen, ob ich mich nicht verhört hatte.
»Nein, das haben Sie nicht. Ich habe ihn getötet, ich mußte es einfach tun.«
»Weshalb taten Sie es?«
Er schaute mich an, dann den Kommissar. Schließlich stand er mit einer langsamen Bewegung auf.
Sein Gesicht hatte noch mehr an Farbe verloren, obwohl das kaum noch möglich war. »Kommen Sie mit«, sagte er nur und ging vor.
Wir blieben ihm dicht auf den Fersen. Harry schaute mich an und hob die Schultern. Ich antwortete ihm mit der gleichen Geste. Es lag einzig und allein an Stoßflug, uns aufzuklären.
In der Diele wandten wir uns scharf nach rechts. Dort befand sich eine schmale Tür an der Wand, vor der Stoßflug Halt gemacht hatte. Er schaute sie an, zögerte.
»Was liegt dahinter?« fragte Harry.
»Es ist die Tür zum Bad«, sagte er mit leiser Stimme.
»Ja und?«
»Ich habe ihn dorthin geschafft.«
»Wen?«
»Den Toten.«
Harry schaute ihn an, drückte ihn zur Seite, so daß Stoßflug zwischen ihm und nur stand, dann legte er die Hand auf die Klinke und riß die Tür auf.
Es war zu düster, der kleine Raum hatte kein Fenster. Das aber interessierte uns in dem Augenblick nicht. Wir beide sahen den kompakten Schatten, der zwischen Toilette und der Sitzbadewanne eingeklemmt lag.
Ich machte Licht.
Mit fast brutaler Deutlichkeit traf uns das Bild. Wir schauten direkt auf die Brust des Mannes, in der eine große Wunde klaffte. An den Rändern wirkte sie wie eingerissen, aber das war nicht alles.
Aus der Wundenmitte ragte ein Stuhlbein hervor. Er mußte aus Eiche bestehen und war sicherlich an seiner Vorderseite angespitzt worden. Helmut Stoßflug hatte seinen Gegner mit dieser primitiven Waffe gepfählt…
***
Das Schweigen lastete zwischen uns. Es war bedrückend. Ich sah in das Gesicht des Toten. Auf der Haut hatten sich noch einige Blutspritzer verteilt, die wie makabre Sommersprossen wirkten. Ansonsten sahen wir nur wenig Blut, ein Zeichen, daß das meiste aus seinem Körper herausgesaugt worden war.
Ich ging wieder zurück, auch Harry Stahl hatte den kleinen Raum verlassen. Die Tür ließen wir offen.
»Warum?« fragte ich leise.
»Weil er ein Vampir war«, gab der Mann ebenso leise zurück.
Ich nickte. »Verstehe ich. Andere Frage. Wie ist er zu einem Vampir geworden?«
»Durch… durch«, er rang nach Worten und schaute dabei gegen die Decke. »Durch meine Frau!« stieß er schließlich hervor. »Ja, verdammt, es ist Helga gewesen, die sein Blut saugte und mich dabei zuschauen ließ. Sie hat ihn zum Vampir gemacht!«
»Wann war das?«
»Bei ihrem zweiten Besuch«, sagte er mit kaum zu verstehender Stimme. »Sie ist ja nicht nur einmal hier gewesen, sie tauchte
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