0724 - Vampirträume
dachte O'Neill, als er in seinen alten Toyota stieg und einer Gewohnheit folgend den Polizeifunk einschaltete. Er mochte es, wenn die Stimmen der Kollegen ihn bis nach Hause in sein leeres Appartement begleiteten. Dort wurde es dann sehr still, denn niemand außer ihm hätte etwas sagen können. Keine Frau, keine Freundin, noch nicht einmal ein Hund wartete auf ihn. Er hatte sein Privatleben ganz und gar dem Polizeidienst geopfert und jetzt, wo seine Karriere in eine Sackgasse geraten war, bereute er diesen Fehler.
»Eins Adam Zwölf«, drang die Stimme aus dem Funkgerät an sein Bewusstsein. »Sind auf der Sorkin Avenue, Kreuzung Abrams Street und hören Schüsse. Erbitten Verstärkung.«
»Hier Zentrale. Verstanden.«
Sorkin Avenue… O'Neill zog eine Straßenkarte aus dem Seitenfach. Hope hatte behauptet, die Wölfe auf der Sorkin Avenue, Ecke Wells gesehen zu haben. Das war weniger als eine Meile von der Kreuzung entfernt, wo jetzt Schüsse gehört wurden. So heruntergekommen, wie die Gegend dort unten aussah, wäre es fast ein Wunder gewesen, einen Abend keine Schüsse zu hören, aber trotzdem wendete O'Neill seinen Toyota und fuhr in Richtung Süden.
Rund zwanzig Minuten später sah er die Reflexionen flackernder Lichter vor sich auf der nassen Straße und dann drei Polizei- und einen Rettungswagen, dessen Türen offen standen. Auf der linken Seite befand sich ein Schrottplatz mit einem viel zu niedrigen Zaun, rechts eine verfallen wirkende Lagerhalle.
O'Neill stieg aus und hielt dem ersten Uniformierten seine Dienstmarke entgegen. »Wissen Sie, was passiert ist?«
»Nicht genau, Sir. Anscheinend haben sich ein paar Junkies auf dem Schrottplatz gestritten. Mindestens einer war bewaffnet und fing an herumzuballern. Als wir kamen, sind sie wohl abgehauen.«
»Irgendwelche Zeugen?«
»Bei dem Streit wurde ein Mädchen verletzt.« Der Uniformierte zeigte auf die Sanitäter, die im gleichen Moment mit einer Trage am Eingang des Schrottplatzes auftauchten. »Sie kann uns bestimmt mehr sagen.«
O’Neill dankte ihm und ging auf die Sanitäter zu. Das Mädchen, das zwischen ihnen auf der Trage lag, hatte ein bleiches, schweißnasses Gesicht. Die Augen waren geschossen.
»Hope«, sagte O’Neill frustriert. »Verdammt…«
***
»Er will sich wirklich hier mit uns treffen?«, fragte Don Diego. »Auf einem Friedhof?«
Anthony Mollin hob die Schultern. »So stand es in der Einladung.«
Jeffrey Smythe und Miguel Serras nickten gleichzeitig. Ebenso wie Mollin hatten sie darauf geachtet, vor dem Don einzutreffen, um ihn entsprechend begrüßen zu können. Smythe wusste, wie viel das Diego bedeutete.
»Und wenn es eine Falle ist?« Wie immer, wenn etwas Unerwartetes geschah, wirkte Mollin nervös. »Vielleicht ist die Einladung nur ein Vorwand.«
»Aber wieso sollte ich so etwas tun, wenn ihr der Hölle stets treu gedient habt?«
Smythe fuhr herum, als er die tiefe, knarrende Stimme hörte und sah eine Gestalt, die zwischen den Grabsteinen und Kreuzen schwebte. Sie war über zwei Meter groß und trug eine lange, blauschwarze Kutte. Ihr Schädel ragte faltig und kahl wie der einer Schildkröte daraus hervor. Die Haut war blau und schien mit der wehenden Kutte zu verschmelzen. Obwohl Smythe das Wesen noch nie gesehen hatte, war ihm sofort klar, wer ihm gegenüberstand.
»Baal«, kam Diego ihm zuvor. »Im Namen der Herrscherfamilien von Kalifornien danke ich dir für die Einladung.«
»Ich danke euch für euer Erscheinen.«
Er war höflicher als die Dämonen, denen Smythe bisher begegnet war und widersprach damit dem gängigen Klischee des dummen, anmaßenden Dämons, das die Vampirfamilien so gerne pflegten. Zweifellos gab es in der Hölle ähnliche Klischees über die Familien.
Baal schwebte zu Boden und ging auf Diego zu. »Du fragst dich sicherlich, weshalb ich euch hergebeten habe?«
»Nein, ich frage mich nur, warum du es nicht früher getan hast.«
Smythe unterdrückte ein Lächeln. Dieses Verhalten, dachte er, ist der Grund, warum er vierhundert Jahre über diesen Staat geherrscht hat.
»Ich war mit wichtigeren Dingen als den Sorgen einiger Vampire beschäftigt«, sagte Baal. »In eure Belange mische ich mich normalerweise nicht ein.«
»Außer wenn sie zu deinen Belangen werden, richtig?«
Smythe bemerkte, wie Mollin langsam zurückwich, als befürchte er den Beginn einer Konfrontation. Serras schien das gleiche anzunehmen, denn er reckte das Kinn hoch und nahm neben Diego Aufstellung.
Baal
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