0728 - Angst in den Alpen
deutete über meine Schultern. »Er liegt tot in seinem Spritzenhaus. Aber er ist nicht mehr derselbe wie früher. Ich habe erlebt, daß er sich veränderte. Soll ich sagen was geschah…?«
Ich hatte mein Wort bewußt nicht zu einem Abschluß geführt. Schon jetzt erkannte ich an der Reaktion der Menschen, daß ihnen das Thema unangenehm war. Sie wußten Bescheid, aber sie wollten nicht mit einem Fremden darüber reden. Sie schauten zu Boden oder zur Seite, einige räusperten sich, ich hatte sie erwischt. Es lief sogar ziemlich gut.
Ich sprach weiter. »Was ist denn los? Will keiner hineingehen, um sich davon zu überzeugen, was da geschehen ist? Es wundert mich, es wundert mich wirklich. Ich hätte nicht gedacht, daß erwachsene Männer so feige sein können.«
Sie schwiegen auch jetzt. Ein kalter Wind fuhr plötzlich über uns hinweg. Wie ein Omen, als wollte der Tod hier schon ein großes Zeichen setzen.
»Nun, Herr Lechner? Was ist mit Ihnen? Sie sind doch der Bürgermeister. Sie sollten mit einem guten Beispiel vorangehen…«
Ich hatte ihn in eine Zwickmühle gebracht. Jetzt stand er auch symbolisch vor den anderen Dorfbewohnern, denn als er sich umdrehte und in deren Gesichter schaute, da sah er keine Emotionen.
Niemand traf Anstalten, ihm beizustehen. Sie alle blieben gewissermaßen in sicherer Deckung.
»Feige, Herr Lechner?«
»Gehen Sie und lassen Sie uns in Ruhe!«
Ich blieb gelassen. »Sie wiederholen sich. Das hätte ich von Ihnen nicht gedacht.«
»Ich will, daß Sie verschwinden. Es ist allein unsere Sache, wie wir mit den Vorgängen umgehen.«
»Auch mit den Toten?« fragte ich.
»Ja, auch damit!«
»Da irren Sie sich. Da irren Sie sich sogar gewaltig. Es ist Sache der Allgemeinheit. Von vier Toten weiß ich. Aber wie viele sind es tatsächlich gewesen, Herr Lechner? Bitte reden Sie. Sagen Sie mir, was hier noch alles geschehen ist!«
»Nichts, gar nichts.«
Ich lachte die Wartenden an. »Das ist doch ungeheuerlich. Sie können nicht den Kopf in den Sand stecken und so tun, als wäre nichts geschehen. Sie müssen gegen dieses Schicksal ankämpfen. Weshalb werden Menschen zu Zwergen, und was geschieht danach mit ihnen? Bleiben sie vielleicht liegen, oder werden sie zu Zombies, die plötzlich wieder aufstehen und bestimmte Wege einschlagen. Sie müssen ein Ziel haben. Wo liegt es? Was ist mit ihnen?«
»Gar nichts.«
»Warum lügen Sie?«
Karl Lechner befand sich in einer Zwickmühle. Er duckte sich, als hätte er einen Schlag erhalten.
Dann drehte er den Kopf, schaute sich hilfesuchend um.
Die Männer standen wie angegossen auf ihren Plätzen. Nicht einer von ihnen traf Anstalten, den Bürgermeister zu unterstützen. Sie waren gekommen, um mich zu vertreiben, sie hatten sich möglicherweise Mut angetrunken, aber nicht damit gerechnet, daß ich ihnen einiges entgegensetzen würde.
Einige von ihnen konnten den Blick nicht ertragen. Sie senkten die Köpfe und schauten auf ihre Schuhspitzen. Manche schauten auch scheu zum Eingang des Spritzenhauses.
Ich bekam immer mehr Oberwasser. »Nun? Wie sieht es aus? Was ist los mit euch? Seid ihr nicht erschienen, um mich aus dem Ort zu treiben wie einen Aussätzigen? Nur lasse ich mich nicht vertreiben. Ich werde bleiben und versuchen, den Fall zu lösen. Und es ist gleichzeitig in eurem Interesse.« Ich drehte mich um und deutete auf die Tür des Spritzenhauses. »Wie wäre es denn, wenn mich jemand begleitet, damit er sich den alten Savini ansieht?«
Keiner wollte. Der Mut hatte die Männer verlassen, wobei ich mich fragte, ob sie ihn jemals besessen hatten. Jedenfalls machten sie keine gute Figur.
»Also nicht.«
Die ersten gingen. Nicht, ohne mir finstere und auch furchtsame Blicke zugeworfen zu haben. Als sich Karl Lechner ebenfalls umdrehen wollte, war ich schnell bei ihm und hielt ihn fest. »Nein, Herr Bürgermeister, so haben wir nicht gewettet. Ich möchte, daß Sie mitkommen, verstanden? Ich will, daß Sie…«
»Warum ich?«
»Sie sind hier der Chef.«
Es sah aus, als wollte er sich wehren. Er zerrte an meinem Arm, aber ich blieb hart. »Kommen Sie, es wird Sie bestimmt interessieren.«
»Nein, es interessiert mich nicht.«
Ich zerrte ihn weiter. Er sollte sich den alten Savini ansehen. Für mich war dies reine Psychologie, denn ich hatte die Hoffnung, seinen innerlichen Widerstand zu brechen. Möglicherweise traf ihn der Anblick so hart, daß er über die Hintergründe redete und somit einen Teil seines Wissens
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