0728 - Angst in den Alpen
noch tun, verflucht?«
Ich antwortete leise und dicht an seinem Ohr. »Sie sollen nicht viel tun, mein Lieber. Ich will nur eine Erklärung von Ihnen haben, das ist alles.«
»Das kann ich nicht.«
»O doch, Sie können es. Denken Sie mal daran, daß es Hintergründe geben muß.«
»Na und?«
»Die will ich hören.«
»Nein, es geht nicht. Wir haben es immer hingenommen. Alle haben es hingenommen, auch unsere Vorfahren schon. Es wäre fatal, nach den Hintergründen zu fragen. Wir haben es gelernt, mit der Angst zu leben. Im Sommer läßt man uns in Ruhe. Wenn die Tage kühler und die Nächte länger werden, dann ist es wieder soweit.«
»Erscheinen die Zwerge?«
»Ja!« hauchte er.
»Und weiter?«
»Sie holen sich, was sie brauchen.«
»Menschen?«
»Sicher. Mal ja, mal nein. Auch Tiere, man weiß es nie genau. In diesem Jahr sind die Menschen an der Reihe, und sie haben schon sehr früh damit angefangen.«
Da hatte er nicht einmal gelogen, denn durch Jane Collins war ich aufmerksam geworden. Und deren Kurzurlaub lag ebenfalls etwas zurück. In diesem Jahr schien es besonders schlimm zu werden, da mußte ich dem Bürgermeister recht geben, ohne jedoch schon in die richtigen Details eingeweiht worden zu sein.
»Was geschieht weiter?« Ich hatte einmal Blut geleckt und blieb auch an der Spur.
»Wie meinen Sie das?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Zwerg hier liegenbleibt oder durch das Dorf marschiert.«
»Das stimmt.«
»Also?«
»Er… er wird verschwinden. Er wird morgen nicht mehr hier auf dem Tisch liegen.«
»Interessant. Und wer trägt dafür die Verantwortung? Wer holt ihn denn weg?«
»Das weiß keiner. Jedenfalls ist er nicht mehr da. Wir kennen das, wir kennen es genau.«
»Arbeitet jemand mit den Zwergen zusammen?«
»Das verstehe ich nicht. Wie haben Sie das gemeint? Es gibt keinen im Ort, der sich trauen würde, hier hineinzugehen und ihn zu stehlen. Nein, Herr Sinclair. Die Menschen haben Furcht. Die ducken sich darunter wie unter einer Panzerplatte. Auch wenn Sie noch so fragen, Sie werden keinen finden. Und das sind ehrliche Antworten, glauben Sie mir.« Er atmete noch einmal aus und schwieg.
Ich ließ ihn in Ruhe, weil ich über seine Worte nachdenken mußte. Viel hatte ich nicht erfahren, aber das, was man mir mitgeteilt hatte, das reichte schon.
In diesem Alpendorf hatten die Zwerge das Kommando übernommen. Wie immer die sich auch zusammensetzte und welche Folge sie hatte, wußte ich nicht. Das würde ich noch herausfinden.
Dabei war der alte Savini ein wichtiges Indiz!
Seine Verwandlung, sein Tod, sollte in diesem Fall nicht umsonst gewesen sein. Für mich gab es keine andere Spur als ihn, denn viel mehr würde mir Karl Lechner nicht sagen. Und auch die anderen Bewohner würden den Mund halten.
»Kann ich jetzt gehen?« Der Bürgermeister fühlte sich unwohl, als würde er mit beiden Beinen in einem großen Grab stehen.
»Wir gehen gemeinsam.«
»Und dann?«
Ich winkte ab. »Werden wir weitersehen. Über eines müssen Sie sich im klaren sein, Herr Lechner. Wir stehen erst am Beginn, und ich will den Fall lösen.«
»Es ist Ihr Leben.«
»Danke, daß Sie so besorgt um mich sind. Glauben Sie denn, daß ich es verlieren könnte?«
»Die anderen sind stark, so verflucht stark!« hauchte er. »Sie kommen nicht so leicht dagegen an.«
Ich wechselte das Thema. »Dieses Spritzenhaus wird bei Einbruch der Dunkelheit abgeschlossen, nehme ich an.«
»Manchmal nur. Wir sehen eigentlich keinen Grund, es zu tun. Wer soll hier etwas stehlen?«
Ich nickte. »Ja, da haben Sie recht. Mit einem Feuerwehrwagen kann kaum jemand etwas anfangen.«
»Wollen Sie sonst noch etwas von mir?«
»Nicht jetzt.«
»Dann gehe ich jetzt.«
»Bitte.«
Der Bürgermeister lief beinahe fluchtartig davon. Ich verließ das Spritzenhaus wesentlich langsamer. Die Männer waren verschwunden. Leer lag der kleine Platz vor mir.
Ich atmete tief durch und schaute zum Himmel. Bis zum Einbruch der Dämmerung würde es nicht mehr lange dauern. Dann sackten die tiefschwarzen Schatten wie ein böses Omen in das Tal. Der Himmel zeigte schon jetzt eine leicht graue Farbe.
Ich strich gedankenverloren über mein Haar. Noch hatten wir Tag, doch auf die Nacht war ich gespannt. Wenn mich mein Gefühl nicht täuschte, würde sie die Entscheidung bringen…
***
»Wo willst du hin, Trudi?«
Das zweiundzwanzigjährige Mädchen erschrak, als es die Stimme seiner Mutter hörte. Trudi blieb stehen und
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