0728 - Angst in den Alpen
preisgab.
Keiner half ihm. Die anderen zogen sich zurück, sie hatten Angst, denn dieses starke Gefühl lag wie eine Glocke über dem Tal. Für mich war es die Folge einer unheimlichen Magie, die vor langer Zeit einmal hier Einzug gehalten hatte.
»Warum, verdammt, quälen Sie mich, Sinclair?«
»Weil ich die Wahrheit hören will.«
Wir hatten die Tür noch nicht erreicht. Er stemmte sich mit beiden Hacken gegen den Boden. Die Furcht schüttelte ihn durch. Trotz der Kälte hatte sich auf seiner Stirn ein Schweißfilm gebildet.
»Warum quälen Sie mich denn so, Sinclair?«
»Herr Lechner, ich will Sie nicht quälen, aber ich möchte, daß Sie endlich die Grenze überwinden. Sie müssen die Furcht vergessen. Sie müssen sich den Tatsachen stellen.«
Er schluckte, ohne etwas gegessen zu haben. »Der alte Fluch, die alte Zeit. Wir Menschen sind zu schwach, viel zu schwach. Die anderen sind stärker.«
»Wozu sind Sie zu schwach?«
»Egal, ich…«
»Wozu?« Ich blieb hart. »Haben die Zwerge das Kommando übernommen? Sind sie die kleinen, bösen Killer?«
»Ja.«
»Und wieso?«
»Ich weiß es nicht genau. Aber wir können nichts tun. Wenn Sie bleiben, Sinclair, wird es noch weitere Tote geben, das weiß ich. Auch den Einsiedler hat es erwischt. Wer redet, verliert sein Leben. Ich… ich fühle mich längst nicht mehr sicher. Ich habe mit Ihnen Kontakt gehabt. Sie wissen alles, sie wissen es immer.«
»Können Sie denn reden?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Das werden wir sehen, Herr Lechner. Und jetzt reißen Sie sich bitte zusammen.«
Er lachte bitter auf. »Wenn Sie wüßten, was Sie so alles sagen. Das… das kann alles nicht stimmen.«
Aus seiner Aussage war ich nicht schlau geworden. Vielleicht redete er, wenn er den Zwerg sah.
Wir betraten das Spritzenhaus. Eine kalte Düsternis wehte uns entgegen. Hier schienen die Menschen nichts mehr zu sagen zu haben. Alles war so anders, von einem düsteren Hauch umwoben.
Fremde Mächte hatten ihre Zeichen gesetzt, die Furcht vor dem Unheimlichen und dem Unbegreiflichen lagerte hier.
Ein völlig normaler Ort, der aber zu einer Insel der Düsternis geworden war und fremde Kräfte angelockt hatte.
Lechner ging neben mir. Er sah so aus wie ein Mann, der das Spritzenhaus zum ersten Mal betrat und sich umschauen mußte. Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte, selbst vor dem alten Feuerwehrwagen zuckte er zurück.
Ich lachte leise. »Davor brauchen Sie keine Angst zu haben. Wir gehen nach rechts.«
»Aber es hat keinen Sinn.« Es war ein schwacher Aufstand, den er noch einmal versuchte, und ließ mich davon nicht beeindrucken, sondern schob ihn in die entsprechende Richtung.
Lechner zitterte. Beim Gehen schaffte er es kaum, seine Füße anzuheben, deshalb schleiften die Sohlen über den Boden. Der lange Holztisch stand im Hintergrund. Wieder war die Sonne gewandert, aber auch tiefer gesunken, so daß nur mehr ein Rest an Strahlen durch das untere Fensterdrittel schien. Es schuf einen schwachen Glanz oberhalb des Randes, der sich kaum verteilte.
Der Zwerg lag noch so, wie ich ihn verlassen hatte. Nichts hatte sich verändert. Er war tot, er machte auch nicht den Eindruck, als könnte er sich jeden Moment erheben, um das Spritzenhaus zu verlassen.
Lechner klapperte mit den Zähnen. So dicht und stark war seine Furcht geworden. Er strich über seine brennenden Augen und behielt die Hände in dieser Haltung.
»Schauen Sie hin!« befahl ich ihm. »Sehen sie sich den alten Savini an. Sie sollen erkennen, was aus ihm geworden ist, verdammt! Sie müssen es tun!«
Er sprach, und vor seinen Lippen zeigte sich der helle Speichel. »Ich will aber nicht!«
»Sie müssen!«
Meine Worte waren wie ein Zwang. Er ließ die Hände sinken. Ich hatte mich mit Lechner zusammen günstig hingestellt. Er brauchte nur nach unten schauen, um das Gesicht des alten Savini sehen zu können. Nichts hatte sich daran verändert, auch der Kopf hatte seine ursprüngliche Größe fast behalten. Nur das Gesicht schien mir noch faltiger geworden zu sein. Lechner atmete nur heftig und hatte Mühe, den Schock zu überwinden. Er zitterte am ganzen Körper.
»Was ist los?« fragte ich leise.
»Es ist Savini.«
»Der Zwerg Savini?«
»Ja, verdammt, der Zwerg.«
»Gut, und weiter?«
Der Bürgermeister wollte nicht mehr. Er schüttelte den Kopf. »Ich habe Ihnen doch alles gesagt, zum Teufel! Sie haben selbst erlebt, was geschehen ist. Sie stehen davor und sehen es. Was soll ich denn
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