073 - Dämonenrache
unverhohlenen Grauens gebreitet.
Dann hörte auch Bourquin die Schritte. Viele Schritte. Sie kamen die Treppe herauf. Leon Dumarche lachte immer noch.
Direktor Cerusier hatte eine Trauermiene aufgesetzt. Sie war geheuchelt. Bourquin mochte seinen Chef nicht, aber es stand ihm nicht an, an ihm Kritik zu üben.
Hinter Cerusier kamen noch genau zwölf andere Leute. Pfarrer Lelouche war dabei, Rechtsanwalt Roland Copernic, Charles Rimbeaud, der Scharfrichter, dann noch Raoul Gautier, der Richter, und Marcel Aymé, der Sprecher der Geschworenen. Pierre Boussenac, der Staatsanwalt, hatte sich im letzten Augenblick wegen einer plötzlichen Unpässlichkeit entschuldigen lassen und einen Vertreter entsandt. Die anderen Leute waren von den Justizbehörden und von der Polizei.
Cerusier nickte dem Wachtmeister zu. »Zelle 4.«
Bourquins Hände zitterten, als er aufschloss. Schnell trat er zurück, um den Kollegen Platz zu machen, die Dumarche zum Schafott führen würden. Notfalls gegen dessen Willen.
Doch Dumarche dachte nicht im Traum daran, einen letzten verzweifelten Ausbruchsversuch zu unternehmen. Er stand nur von seinem Lager auf, gähnte und reckte sich wohlig. Das Schnappen der Gelenke dröhnte überlaut in der kahlen Zelle.
»Da sind Sie ja endlich«, sagte er anschließend. »Haben Sie die Klinge auch richtig geschliffen, Scharfrichter? Ich bin ein wenig empfindlich in letzter Zeit.«
Direktor Cerusier räusperte sich.
»Behalten Sie den Quatsch für sich«, meinte Dumarche, noch bevor Cerusier das erste Wort sagen konnte. »Ich weiß, was los ist.«
»Aber ich muss dem Gesetz Genüge tun«, sagte Cerusier.
»Warum sagen Sie das nicht gleich? Für Gesetze habe ich was übrig.«
Dumarche lachte wieder sein grässliches Lachen. Cerusiers Worte gingen darin fast unter. Es war die Floskel, mit der allen Verurteilten gesagt wurde, dass das Urteil jetzt vollstreckt würde. »Bewahren Sie Fassung!«, waren die letzten Worte und ganz zum Schluss: »Gott sei Ihrer Seele gnädig.«
»Das haben Sie fein heruntergesagt«, dröhnte Dumarche in tiefem Bass. »Als Kind habe ich auch einmal ein Gedicht, auswendig gelernt. Habe es wieder vergessen.«
Die Männer in ihren schwarzen Anzügen schauten betreten auf den roten Pflasterboden.
»Hier ist Ihr weißes Hemd, Monsieur Dumarche«, sagte Rechtsanwalt Copernic und trat aus der Reihe der Schwarzbefrackten heraus.
»Hallo, Roland!«, polterte Dumarche freundlich. »Ich hatte Sie gar nicht gesehen. Hat man Sie auch hierherbeordert? Das passt ganz gut. Hat mich mächtig beeindruckt, wie Sie mich verteidigen wollten. Um ein Haar hätten Sie es ja auch geschafft, mich für geisteskrank erklären zu lassen. Ich bin Ihnen nicht böse, wenn es nicht ganz geklappt hat. War auch allein meine Schuld. Ich hätte mich ja nur an Ihre Anweisungen zu halten brauchen.«
Roland Copernic wurde rot.
»Aber Jungchen«, sagte Dumarche. »Hat mir imponiert, was Sie alles für mich tun wollten. Wirklich. Deshalb wird Ihnen auch nichts passieren. Ich bleibe nicht gern etwas schuldig.«
Der junge Rechtsanwalt blickte auf, schaute dem Delinquenten in die Augen.
»Sie sind verrückt«, sagte er leise.
»Ich nehme es ihnen auch nicht übel, wenn Sie das glauben. Aber ich weiß es eben besser. Trotzdem vielen Dank. Ihnen zuliebe ziehe ich sogar dieses Kostüm an.«
Dumarche schlüpfte aus seiner Gefängniskluft und zog das weiße Hemd über.
»Gefalle ich Ihnen jetzt besser?« Der Delinquent schaute Beifall heischend in die Runde.
»Kommen Sie«, sagte einer der bewaffneten Polizisten.
»Aber ja doch«, antwortete Dumarche. »Zum Frühstück kommen Sie bestimmt zurecht. Eine guten Appetit wünsche ich noch allerseits.«
Einer der Anwesenden begann zu würgen. Es war Marcel Aymé, der Sprecher der Geschworenen.
Dumarche hörte die Geräusche. »Wenn Sie einen dermaßen empfindlichen Magen haben, Monsieur, sollten Sie andere Leute nicht zum Tode verurteilen. Ihnen verdanke ich es letzten Endes, dass wir hier so nett beisammen sind. Einen Tipp gebe ich Ihnen noch: Wenn Sie sich reihum um die Guillotine aufstellen, passen Sie auf, Aymé, dass Sie am Fußende stehen. Ich habe mir sagen lassen, dass das Blut manchmal bis zu fünf Meter weit spritzt...«
Dumarche lächelte zufrieden, als er das Würgen nochmals hörte.
Bei Aymé drehte sich der Magen um. Er hatte sich in eine Ecke begeben. Der Gefängnisarzt kümmerte sich um ihn und sprach halblaut auf ihn ein.
Dumarche lachte immer
Weitere Kostenlose Bücher