073 - Der Gehenkte von Dartmoor
kaufen.«
»Ich schlage
vor, daß ich nicht dabei bin. Zu zweit wäre das zu auffällig. Außerdem spricht
es sich in einem solchen Ort schnell herum, wenn ein Chiefinspektor von
Scotland Yard aufgetaucht ist. Gegen zehn wollte ich zum Zuchthaus in
Princetown fahren.«
»Bis dahin
bin ich zurück. Ich fahre mit. Und jetzt schlage ich vor, daß wir ins Hotel
zurückgehen und versuchen, bei einem Glas Stout einiges über diesen
Antiquitätenhändler zu erfahren.«
Was ihnen der
Hotelbesitzer, der an ihrem Tisch Platz nahm, über Simpson zu erzählen hatte,
war nicht viel. Der Mann lebte sehr zurückgezogen. Die einen meinten, er sei
Junggeselle, die anderen munkelten, er sei heimlich verheiratet. Sein
geschäftlicher Leumund galt als gut. Er halte ihn für einen tüchtigen
Geschäftsmann, sagte der Wirt, das habe die Geschichte mit den alten Bahnhöfen
wohl bewiesen.
»Was ist das
für eine Geschichte?« fragte Larry Brent.
»Sie müssen
dazu wissen«, erläuterte der Wirt, »daß früher mal eine Kleinbahn von Horne
quer durch das Moor bis nach Princetown fuhr. Als sich die meisten Leute einen
Wagen zulegten, wurde die Linie unrentabel. Die Zuchthäusler hatten sie ohnehin
nur einmal benutzt, wenn sie nämlich entlassen wurden. Man legte die Bahn still
und stellte den Betrieb auf Busse um. Etwas später entfernte man auch noch die
Schienen und machte die Bahnhöfe in Horne, Fennermoor und Princetown dem
Erdboden gleich. Das gab neue Bauplätze. Aber zwei Bahnhöfe, die einsam in der
Moorlandschaft liegen, die ließ man stehen, wo sie waren.«
»Und die gibt
es noch heute?«
»Ja. Eines
Tages erfuhr man, daß Antiquitäten-Simpson sie für wenig Geld von der
Eisenbahngesellschaft erworben hatte. Nanu, dachten wir uns, was macht denn der
damit?
Das ist doch
rausgeworfenes Geld. Aber drei Wochen später war er sie schon wieder los. Er
hatte sie weiterverkauft. Mit einem hübschen Profit.«
»Und an wen?«
»An den alten
Sir Charles Parkinson. Das ist ein Grundbesitzer hier. Sein Landhaus, Parkinson
Hall, liegt fünf Meilen außerhalb von Horne, nach Norden zu.«
»Und was
macht dieser Sir Parkinson mit den Bahnhöfen?«
»Nichts. Er
läßt sie verfallen. Verrückt, was? Aber man hat von dem alten Parkinson, der
ohne Frau und Kinder lebt, schon immer gesagt, daß er zu allen möglichen
Verrücktheiten neigt. Und das ist nicht besser geworden, seit er die Siebzig
überschritten hat.«
»Kann man
sich die Bahnhöfe mal ansehen, was meinen Sie?«
»Tun Sie es
lieber nicht! Vielleicht ist gerade Sir Charles Parkinson draußen. Und der haßt
Besucher.«
Kurz nach
Mitternacht wurde Chiefinspektor Higgins, der ebenso wie Larry Brent noch eine
Stunde in seinem Hotelzimmer gelesen hatte, eines anderen darüber belehrt, daß
nachts in dem »Nest« nichts los sei.
●
Zwanzig
Minuten nach elf klingelte bei dem praktischen Arzt Dr. Sunday das Telefon.
Mrs. Sunday nahm den Hörer ab und rief ihren Mann, der gerade in seinem dunklen
Garten kontrollierte, ob auch das Tor geschlossen sei.
»Gerald! Es ist Mrs. Hunter! Ihr Mann hat
wieder einen Anfall von Herzasthma.«
»Ich komme!«
antwortete der Arzt, kehrte dem Garten den Rücken und kam die Treppe zum
Ordinationszimmer herauf. Er nahm seiner Frau den Hörer ab, horchte einige
Augenblicke hinein und sagte dann: »Natürlich, ich komme sofort, Mrs. Hunter!
Leider muß ich zu Fuß kommen, mein Wagen hat gerade heute einen Defekt. Ich bin
zu Fuß früher bei Ihnen, als wenn ich ein Taxi bestelle. Beruhigen Sie Ihren
Gatten inzwischen nach Möglichkeit.«
Dr. Sunday
wusch sich eilig die Hände, griff nach seiner schwarzen Tasche, die alles
enthielt, was er für einen Nachtbesuch brauchte, gab seiner Frau einen Kuß auf
die Stirn und sagte zu ihr: »Ich bin spätestens in einer Stunde wieder zurück,
Darling! Schließ bitte gut zu!«
Dann ging er.
Es waren die letzten Worte, die seine Frau von ihm hörte.
Der Weg des
Arztes führte durch die Straße, in dem das Hotel Victoria lag, wo sich
Chiefinspektor Higgins gerade erst von Larry Brent verabschiedet hatte. Bevor
er den Platz erreichte, bog Dr. Sunday jedoch in eine schmale, dunkle
Seitenstraße ein und beschleunigte seinen Schritt. Es war niemand mehr
unterwegs. Zu dumm, daß sein Wagen ihn wieder einmal im Stich gelassen hatte.
Vom Turm der
Kirche schlug es halb zwölf, als der Arzt das kleine, freundliche Haus
erreichte, in dem das Ehepaar Hunter lebte. Die weißhaarige Mrs. Hunter empfing
ihn schon
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