0735 - Die Armee aus dem Ghetto
den Vorzügen der reinen Vernunft abzuschneiden.
Dieses Ziel war nunmehr in weite Ferne gerückt. Niemand wußte, wo Reginald Bull war. War er aus Porta Pato entkommen oder in der Explosion untergegangen? Befand er sich noch auf der Erde, oder war es ihm gelungen, mit Hilfe eines Transmitters zu entkommen?
Über die geheimnisvolle Aktivität des Transmitters, der aus den Tiefen des Pazifiks deutliche Echoimpulse an die Oberfläche gesandt hatte, bestand mittlerweile Klarheit. Es hatte eine zweite Serie von Echoimpulsen gegeben, die von Goshmos-Castle stammten. Goshmos-Castle, der Nachbarplanet der Erde, war eine heiße Wüstenwelt, auf der das primitive Volk der Mucierer lebte.
Für Menschen war Goshmos-Castle als Lebensraum wenig geeignet. Dennoch stand fest, daß es vor dem Untergang von Porta Pato für rund zwei Stunden eine Transmitterverbindung zwischen der Erde und dem Wüstenplaneten gegeben hatte. Der Schluß lag auf der Hand, daß der weitaus größte Teil der ORGANISATION GUTER NACHBAR nach Goshmos-Castle entkommen war.
Trevor Casalle hatte entsprechende Anordnungen erlassen.
Eine Flottille schwerbewaffneter Raumschiffe war nach Goshmos-Castle unterwegs. Man wußte ziemlich genau, in welcher Gegend sich der Transmitterempfänger befand. Die Flottille hatte die Aufgabe, die OGN zu stellen und unschädlich zu machen.
Die Liquidierung der Emotion-Narren durfte nicht pauschal geschehen. Trevor Casalle hatte strikten Befehl erlassen, daß Reginald Bull, falls er sich unter den nach Goshmos-Castle Geflüchteten befand, unverletzt ein zufangen sei.
Geisterhaft gleich lag die Trümmerwüste des Ghettos unter dem fahlen Mondlicht. Trauer ergriff Reginald Bull. Hier war einst der Kern der Stadt gewesen, die sie vor sechzehn Jahrhunderten zu bauen begonnen hatten: Terrania City. Zentrum der Dritten Macht, am Ufer des Salzsees. Hier hatten die ersten Gebäude gestanden. Hier hatte sich der energetische Schutzschirm gewölbt, gegen den die Streitkräfte der verschiedenen Machtblöcke der Erde vergeblich angerannt waren.
Der See hatte den Stadtplanern späterer Jahrhunderte nicht mehr in den Kram gepaßt. Nur hier und da, in den weiten Grünanlangen der Hauptstadt, war noch das ein oder andere Stück der früheren Wasserfläche erhalten geblieben, sorgfältig vom Salz befreit und mit exotisch bunten Fischen bestückt. Der Stadtkern aber war unter Denkmalschutz gestellt worden. Vor vierzig Jahren noch hatte es an dieser Stelle vereinzelte Gebäude gegeben, die aus den letzten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts stammten.
Nichts mehr war davon zu sehen. Als die Aphilie einsetzte, begannen die inneren Stadtviertel der großen Städte wieder die Funktion zu erfüllen, die sie vor sechzehn, siebzehnhundert Jahren gehabt hatten: Sie wurden zur Senke, in der sich alles ansammelte, was sich aus eigener Kraft nicht mehr bewegen konnte. Der Fortfall der Emotionen hatte im Bewußtsein der Aphiliker nur noch zwei Kräfte übriggelassen: Die Urinstinkte und den Intellekt. Im Bewußtsein des Menschen setzte eine Verschiebung ein. Die durch das Verschwinden der Emotionalität geschaffene Lücke wurde von den beiden verbleibenden Kräften erfüllt. In manchen Fällen setzte sich der Intellekt gegenüber den Urinstinkten stärker durch, in vielen Fällen war es gerade umgekehrt. Aus den Menschen, die schon vor der Aphilie nur mit unterdurchschnittlicher Intelligenz begabt waren, bildete sich eine neue Kaste, die Kaste der Triebbeherrschten. Ihr Leben bestand aus Angst. Wo sie standen, wo sie gingen, saß ihnen die Angst im Herzen. Sie waren nicht in der Lage, für ihren eigenen Unterhalt zu sorgen.
Die Aphilische Regierung erkannte bald, daß diese Menschen für die aphilische Gesellschaft nichts zu leisten vermochten. Sie sah es nicht ungern, daß die Triebbeherrschten sich in die Stadtkerne verkrochen, die in den meisten Großstädten hauptsächlich historische Bedeutung hatten und den neuen Machthabern daher ohnehin verdächtig waren.
Aus den Stadtkernen wurden die Ghettos der Neuzeit.
Die Triebbeherrschten hausten zwar dort, aber sie kümmerten sich nicht um die Gebäude und Straßen. Die Häuser zerfielen, da die Behörden für ihre Instandhaltung keinen Soli mehr ausgaben.
Die Ghettos verwandelten sich in Trümmerwüsten, aus denen nur hier und da noch, wie ein Mahnmal, die Silhouette eines halb zerfallenen Gebäudes emporragte.
Joupje Termaar, der am Steuer saß, hatte das Fahrzeug unwillkürlich angehalten, als von
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