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0736 - Jäger der Nacht

0736 - Jäger der Nacht

Titel: 0736 - Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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spannte sie sich schon wieder an. Da war ihr Körper zu einer Sehne geworden, und sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick zerspringen zu müssen.
    Nicht von ungefähr hatte sie diese Haltung eingenommen. Das Zischen hörte sie nicht mehr, dafür jedoch ein anderes Geräusch. Und das war, verdammt noch mal, eine Stimme.
    Leise, ebenfalls zischend, beinahe böse klingend und dabei gefährliche Worte flüsternd.
    »Ich bin fast da, May…«
    Die junge Frau schrie auf, obwohl sie es eigentlich nicht gewollt hatte.
    Im ersten Moment hatte sie an Anne Wilde gedacht, deshalb drehte sie sich auch um, weil sie ihren Blick durch das Zimmer streifen lassen wollte.
    Nichts zu sehen.
    Sie schalt sich eine Närrin, so übersensibel reagiert zu haben. Das war Unsinn, das war die reine Einbildung, an so etwas durfte sie nicht einmal denken.
    Außerdem hatte sie nicht gehört, daß jemand ins Zimmer gekommen war. Schon auf dem Sprung zur Tür entspannte sich May wieder und drehte sich dann dem Fenster zu.
    »So ist es gut!« hörte sie.
    »Neiinnnn!« Dieses eine Wort schrie sie heraus und preßte ihre Hände gegen den Kopf. Es war der reine Irrsinn, das konnte es einfach nicht geben.
    Sie starrte zum Fenster.
    Ein Viereck mit hellen Rahmen aus Aluminium. Völlig normal, auch die Dunkelheit des Abends dahinter. Es gab nichts, was zu beanstanden gewesen wäre.
    Bis auf die verdammte Stimme.
    Und die wiederum hatte sie sich nicht eingebildet. Jemand war da, der mit ihr sprach. Nur kontaktierte sie dieser Jemand aus dem Unsichtbaren, denn sie hörte die Stimme mehr in ihrem Gehirn, als sie sie mit den Ohren wahrnahm.
    Was lief da falsch?
    Das Fenster, es mußte einfach das Fenster sein. Weshalb übte es denn eine so starke Anziehungskraft auf sie aus? Warum ging sie hin, obwohl sie es nicht wollte.
    Schritt für Schritt.
    Zwar kleine Schritte, aber auch die würden sie zu ihrem nicht gewollten Ziel bringen.
    Dann blieb sie stehen.
    Sehr dicht vor dem Fenster, in dessen Scheibe sie ihr Gesicht wieder als schwammigen Fleck sah.
    Umgeben von einer tiefen, rabenschwarzen Finsternis, die ihr Furcht einjagte.
    Ihr Gesicht in der Mitte…
    Und wieder die Stimme. »Tritt noch näher. Du mußt das Fenster öffnen, Lady. Ist es dir nicht zu heiß? Spürst du denn nicht, wie heiß es dir inzwischen ist?«
    »Ja, es ist heiß!« stimmte sie leise zu. Dabei bewegte sie sich unbehaglich. »Es… es ist so heiß, daß ich fast anfange zu brennen. Da … da ist etwas in mir.«
    »Siehst du, ich habe nicht gelogen. Deshalb ist es besser, wenn du das Fenster öffnest.«
    May Feldman streckte ihren rechten Arm aus. Dabei hielt sie die Hand unter Kontrolle und stellte fest, daß ihre Finger zitterten. Sie war innerlich wahnsinnig erregt, hinter ihren Schläfen spürte sie den Druck. Er bestand aus zahlreichen kleinen Hämmern, die immer wieder zuschlugen, sich dabei zu einem Chor vereinigten, als wollten sie ihr sagen: Tu es doch. Tu es doch… tu es …
    Und sie tat es.
    May umklammerte den Griff.
    Ihre Haut war heiß.
    Es zischte nicht, als sie das Metall berührte, aber es hätte nicht viel gefehlt.
    Den Atem saugte sie durch die Nase ein. Das Gefühl des Schwindels konnte sie nur mühsam unterdrücken. Für einen Moment glaubte sie, von irgendwelchen Händen gepackt und einfach fortgetragen zu werden. Hinein in ein Meer, wo sie den Schrecken des Alltags nicht mehr spürte, wo einfach alles anders war, ohne Leid, ohne die schrecklichen Gedanken an die schlimme Vergangenheit, die gar nicht so weit zurücklag.
    Der Ruck nach rechts und nach oben.
    Das Fenster war offen!
    Sie hatte gehorcht, sie hatte genau das getan, was die Stimme von ihr verlangt hatte. Dabei wußte sie nicht einmal, wem die Stimme gehörte. Bestimmt nicht ihrem Schutzengel. Als kleines Kind hatte sie an ihn geglaubt, diesen Glauben später jedoch wieder verloren, und jetzt dachte sie wieder an ihn.
    Das Fenster war offen. Es ließ sich leicht nach innen ziehen, es schwang dabei so weich und wunderbar. Alles lief wie am Schnürchen, es gab keine Probleme.
    Sie lächelte.
    Kühle Winterluft. Sie roch nach Schnee, aber eigentlich war sie dunstig geworden. Als seichter Schwamm lag sie über London, als wollte sie die Lichter verwischen.
    Sie atmete tief ein.
    Es war so wunderbar, die Luft zu spüren. Sie vertrieb alles. Herrlich.
    Sie lehnte sich hinaus. Nicht zu weit, daß es gefährlich werden konnte. Diesmal hatte sie ein gutes Gefühl. Als sie nach links schaute, sah sie das Abendrot.

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