074 - Der Sohn des Zyklopen
Gastfreundschaft des Basken zu verdanken hatte, sondern der Tatsache, daß man ihn ständig im Auge behalten wollte. Die Basken mißtrauten ihm wahrscheinlich noch mehr als er ihnen. Aber Pedro war schon in Ordnung.
Er sagte: „Der Torto zeichnet sich durch drei Eigenschaften aus. Er ist gefräßig, dumm und feige. Jetzt wird er uns nicht entkommen."
Dorian konnte Pedros Zuversicht nicht teilen. Wenn man den Erzählungen der Basken glauben durfte, dann hauste der blauhäutige Zyklop, dem sie den Namen Torto gegeben hatten, schon seit Jahrhunderten in den Pyrenäen. Und obwohl er in dieser Zeit schon oft sein Versteck verlassen haben mußte, war man seiner noch nicht habhaft geworden.
Dorian äußerte sich darüber aber nicht, weil er Pedro nicht beleidigen wollte. Er zündete sich eine seiner letzten Player's an und gab Pedro auch eine, bevor sich dieser wieder zu seinen Kameraden begab.
Während sich die Basken berieten, ging Dorian die bisherigen Geschehnisse noch einmal in Gedanken durch.
Ihm persönlich ging es gar nicht um Torto. Das war Angelegenheit der Basken, die es sowieso nicht gern sahen, wenn Fremde sich einmischten. Aber Torto war im Besitz des hermetischen Kreisels - und an diesem war Dorian interessiert; ganz einfach deshalb, weil das Schicksal des Puppenmannes Donald Chapman eng damit verknüpft war.
Als Chapman Anfang Oktober bei einem Einsatz in London von einem weiblichen Wesen seiner Größe in eine Falle gelockt worden war, da gab es für Dorian keinen Zweifel, daß es sich um eine simple Entführung handelte, hinter der Hekate stecken mußte. Dorian war sofort einer Spur gefolgt, die nach Kreta führte, und hatte dort tatsächlich weitere Hinweise dafür gefunden, daß die Herrin der Finsternis ihre Hände im Spiel hatte. Doch erkannte der Dämonenkiller bald, daß die Hexe, die aus einer Alraunenwurzel erschaffen worden war, ihn auf eine falsche Fährte gelockt hatte. Don war in Wirklichkeit ins Baskenland entführt worden. Erst der hermetische Kreisel hatte Dorian auf die richtige Spur gebracht und ihn die Zusammenhänge erkennen lassen.
Als Dorian in London den Faust-Geist heraufbeschwor, hatte der Dämonenkiller von ihm erfahren, daß all die Manipulationen der Dämonen nur wegen eines Blauen Kindleins geschahen und daß für Chapmans Entführung niemand verantwortlich zu machen wäre. Dorian wußte schon damals, daß das Blaue Kindlein mit einem Dämonenkind identisch sein mußte, das irgendein Dämon nach sich geformt hatte. Doch das hatte ihm nur wenig gesagt. Erst als er ins Baskenland gekommen war und erfahren hatte, daß der Vater des Blauen Kindleins ein blauhäutiger Zyklop war, da erst verstand er Fausts orakelhaften Ausspruch. Als der Geist des Magiers sagte: „Niemand hat es getan", da spielte er auf Odysseus an, der sich dem einäugigen Riesen Polyphem gegenüber mit dem Namen Niemand getarnt hatte. Und Torto gehörte dem gleichen Geschlecht wie Polyphem an - nämlich dem der Zyklopen.
Was Dorian anfangs für eine Tat der Ophiten gehalten hatte, geschah in Wirklichkeit zum Wohle des Zyklopenkindes, das irgendwo im Baskenland von normalen Sterblichen großgezogen wurde, die keine Ahnung von seiner dämonischen Abstammung hatten. Hekate war, in diese Sache nur insofern verwickelt, als sie dem Zyklopenjungen eines ihrer Alraunengeschöpfe zum Geschenk machen wollte. Don Chapman begegnete im Zuge einer Routineuntersuchung diesem fußgroßen Weibsteufel und mußte ihm sofort verfallen sein. Dorian konnte Don nur zu gut verstehen. Als er einer Frau von seinen Proportionen begegnete, da sah er die Chance, endlich eine Gefährtin zu bekommen. Und es war nur allzu menschlich, daß er alle Vorsicht vergaß und diese Chance wahrnehmen wollte. Das wurde ihm zum Verhängnis.
Dorian hatte keine Ahnung, ob Don noch am Leben war. Er hatte in einer durch den hermetischen Kreisel erzeugten Vision Don zusammen mit der Puppendame auf der Flucht vor Verfolgern gesehen. Das war das letzte Lebenszeichen von ihm gewesen. Es war möglich, daß Don immer noch mit seiner vermeintlichen Gefährtin zusammen war, ohne zu wissen, welche Gefahr sie für ihn darstellte.
Dorian wußte es nicht; aber es war ihm nicht entgangen, daß ihm die Basken in diesem Zusammenhang etwas verschwiegen. Sie behaupteten zwar, daß sie von der Existenz eines solchen Zwergmenschen nichts wüßten, aber der Dämonenkiller glaubte ihnen nicht. Er hatte inzwischen die alte baskische Religion studiert und erfahren, daß
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