074 - Die mordenden Leichen
unschuldig aus.
Fenner dachte an Mendringham, dieses kleine, menschenarme Dorf mit seiner unheimlichen Vergangenheit, dieses stille Häufchen Häuser, dessen Bewohner nun erst, schön langsam, begriffen, daß aus ihrer Mitte fünf Ausgeburten der Hölle hervorgegangen waren.
Fenner las nach dem Essen noch ein Weilchen, um seine Gedanken ein wenig von den Geschehnissen abzulenken, doch das Buch konnte seine Aufmerksamkeit nicht fesseln, also legte er es bald wieder weg.
Es waren nun schon fast drei Wochen vergangen, seit Angela de Ruys nach Mendringham gekommen war. Drei Wochen, in denen sich allerlei getan hatte. Wie geplant arbeiteten hier Handwerker aus der nahen Stadt, und sie konnte es sich leisten, die Leute überdurchschnittlich gut zu bezahlen. Während der kurzen, frühwinterlichen Tage schwärmten die Männer durch das verfallene Gemäuer, rissen Wände ein, bauten sie von den Grundmauern an wieder auf, setzten Fenster ein und reparierten das Dach.
Merkwürdig war nur, daß keiner der Männer bereit war, auch nur eine Minute nach Sonnenuntergang weiterzuarbeiten oder im Schloß zu verbleiben. Auch hatte es einige seltsame Unfälle gegeben. Zwei Männer lagen im Krankenhaus, einige befanden sich in häuslicher Pflege, nachdem sie vom Gerüst gefallen waren, wobei sich keiner erklären konnte, wie es zu den Unfällen kommen konnte.
Einige Männer berichteten von eisigen Böen, die in völlig unerwarteten Augenblicken durch die Räume wehten, während Türen und Fenster geschlossen waren und in anderen Räumen völlige Stille geherrscht hatte.
Am Ende der zweiten Woche wußte ganz Mendringham von den Ereignissen oben auf dem Schloß. Die Dorfbewohner sprachen nur mehr im Flüsterton zueinander. Einige von ihnen feindeten Angela de Ruys in aller Öffentlichkeit an. In einem so kleinen Ort wie Mendringham war es unmöglich, Unfälle und Ähnliches geheimzuhalten, auch nicht, wenn man so reich war wie Angela de Ruys.
Fenner war dem Schloß seit seinem ersten Zusammentreffen mit Angela de Ruys absichtlich fern geblieben. Teils aus Furcht, teils aus Ratlosigkeit, was wohl in dieser Angelegenheit noch zu unternehmen sei. Die Vorahnung eines drohenden Unheils war von Tag zu Tag eindringlicher geworden, und er verfluchte seine Hilflosigkeit.
Welche neuerlichen Greuel jene teuflischen Kreaturen zu entfesseln gedachten, konnte er sich in keiner Weise vorstellen. Er wußte auch nicht, wann sie zuschlagen wollten. Er hoffte nur inbrünstig, daß sie zur rechten Zeit gewappnet waren.
Nervös rauchend ging Fenner in seinem Zimmer auf und ab. Die Sonne war im Untergehen begriffen und warf ihren letzten Glanz über die lauernde, dunkle Masse oben auf dem Hügel. Ihr Licht war noch hell genug, ihn jedes Detail des Gebäudes erkennen zu lassen.
Im Laufe der letzten Woche hatte sich das Gebäude sichtbar verändert. Die Handwerker schienen in außerordentlicher Hast und Eile zu arbeiten, als könnten sie es nicht erwarten, diesen Auftrag so rasch als möglich hinter sich zu bringen.
Der Platz lag so ruhig und friedlich da, daß Fenners Angst ein wenig nachließ. Vielleicht hatte er doch eine zu rege Phantasie. Vielleicht gab es für die Unfälle eine durchaus logische Erklärung. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, Chambers könnte sich geirrt haben. Seine Studien und sein Gerede hatten ihn vielleicht verrückt gemacht. War er etwa der Urheber dessen gewesen, was sie damals im Torbogen gesehen hatten? Durch Suggestion, unbeabsichtigte Hypnose?
Er grübelte eine Weile, dann schüttelte er den Kopf. Das würde schließlich nicht jenen Schrei erklären, jenen Angst – und Schmerzensschrei, den sie alle gehört hatten, als das Kruzifix im Schatten des Torbogens zu Boden fiel.
Doch eines war auf jeden Fall seltsam. Während der vergangenen drei Wochen hatte er jede Nacht aus dem Fenster zum Schloß hinaufgespäht und auf das unerklärliche Licht gewartet, das er damals in jener Gewitternacht gesehen hatte, doch es tauchte nicht mehr auf. Bedeutete das, daß Angela de Ruys recht gehabt hatte mit ihrer Annahme, jenes Wesen oder Unwesen würde ihr kein Leid zufügen – oder hatte sich dieses scheußliche, schreckliche Ding nur dorthin zurückgezogen, wo es all die Jahrhunderte verborgen gelauert hatte, um dann hervorzubrechen, wenn seine Zeit gekommen war?
Und plötzlich wußte Fenner, daß er an jenen Ort zurückkehren mußte, wenn auch nur, um sein Gewissen zu beruhigen und die immer wiederkehrenden
Weitere Kostenlose Bücher