074 - Die mordenden Leichen
entgegnete Chambers. „Wir sind es, die hier gegen Widerwärtigkeiten kämpfen – nicht Sie. Sie sind bloß das auslösende Moment für diese Widrigkeiten. Betrachten Sie sich als Magnet, wenn Sie so wollen. In Zukunft werden Sie zum Brennpunkt des Bösen, zum Verstärker, so daß niemand mehr imstande sein wird, es zu bekämpfen. Und wenn das eintritt, dann sei Gott allen Dorfbewohnern gnädig.“
„Ich schere mich einen Dreck um das, was mit dem Dorf geschieht“, begehrte sie auf. „Wenn ich erst im Schloß eingezogen bin, werde ich dort die Herrin sein, wie meine Vorfahren die Herren dieser Gegend waren. Sie hatten die Macht und wußten sie anzuwenden.“
In Chambers’ Gesicht malte sich Entsetzen. Auch Fenner konnte ein heftiges Erschrecken nicht verbergen. Er war über ihre Worte ebenso wie über die Art, wie sie diese Worte aussprach, entsetzt. Das war nicht mehr die Angela de Ruys, die er vor wenigen Tagen kennengelernt hatte. Sie war … böse geworden!
„Was ist in Sie gefahren?“ rief Fenner. „Sie haben sich in den letzten zwei Tagen völlig verändert!“
„So? Vielleicht bin ich nur endlich aufgewacht. Mir ist nun bewußt geworden, was für Narren Sie beide sind, und wie dumm ich war, Ihr Geschwätz ernst zu nehmen. Vielleicht ist tatsächlich die Zeit dort oben stehen geblieben nach dem Tod meiner letzten Vorfahren, um auf diesen Augenblick zu warten. Wenn ich oben war, habe ich selber immer gefühlt, daß bald die Erfüllung dessen kommen wird, worauf das Haus dreihundert Jahre lang gewartet hat.“ Ihre Stimme hatte einen ekstatischen Klang angenommen, der Fenner eisige Schauer über den Rücken jagte.
Fräulein de Ruys stand auf und blickte auf die beiden Männer herunter. „Es wird besser sein, wenn Sie nun gehen“, sagte sie dann. „Wenn Sie meinen Rat wollen, dann halten Sie sich vom Schloß fern, und zwar für alle Zeiten. Es bringt nichts ein, in solche Dinge die Nase zu stecken.“
Fenner stand auf. Er seufzte und wartete auf Chambers. Sie hatten ihr Möglichstes getan. Bei der Tür blieb er noch einmal stehen und warf einen Blick zurück auf das Mädchen. Sie stand da und beobachtete sie mit einem Pokergesicht.
„Sie wissen hoffentlich, daß Sie einen großen Fehler machen“, sagte Fenner. „Früher oder später werden Sie die Tragweite Ihres Fehlers erkennen – und ich hoffe für Sie, daß Sie dann nicht zu tief im Dreck stecken.“
„Ich glaube, daß ich ganz gut auf mich aufpassen kann, Doktor“, antwortete sie dreist. „Aber Sie! Sie sind machtlos. Welche Unverfrorenheit, in Dingen herumzurühren, von denen Sie nichts verstehen!“
„Ich fürchte, daß ich diese Dinge nur zu gut verstehe“, antwortete Chambers. „Aber vielleicht sind wir nicht ganz so hilflos wie Sie glauben. Immerhin sind wir noch am Leben, und wir wissen, worum es geht.“
„So?“ Ein lauerndes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Glauben Sie?“ Sie hörten ihr unnatürliches Lachen, als sie in die Kälte hinaustraten.
„Was nun, Paul?“ fragte der Doktor und zog den Mantel enger um sich. „Wohin gehen wir jetzt? Hier können wir nichts mehr ausrichten, das ist wohl klar.“
„Ganz im Gegenteil. Wir können eine ganze Menge leisten, doch bedarf dies einer gründlichen Vorbereitung. Diesmal dürfen wir keinen Fehler mehr machen. Ich danke Gott, daß Sie mich baten, dem Fräulein einen Besuch abzustatten, John. Auch jetzt ist es noch nicht zu spät.“
„Zu spät?“ Fenner sah Chambers verwundert an. In Gedanken war er noch immer in jenem Zimmer und versuchte, sich klar zu werden, was wohl Angelas Veränderung verursacht haben könnte. Er nahm kaum wahr, daß Chambers auf ihn einredete. Doch plötzlich erweckten einige Worte seine Aufmerksamkeit.
„Wie war das?“ fragte er rasch.
Chambers drehte sich nach ihm um. „Du lieber Himmel, John. Sie hören mir ja überhaupt nicht zu.“
„Verzeihen Sie, Paul. Meine Gedanken waren noch bei Angela. Ich überlegte eben …“
„Ich weiß. Eben das versuche ich die ganze Zeit, Ihnen zu erklären. In dem Augenblick, in dem wir das Zimmer betraten, habe ich es bereits erwartet. Aber ich war mir nicht ganz sicher, erst eine Weile später. Haben Sie nicht bemerkt, wie sie zusammenzuckte, als ich sagte, dann sei Gott allen Dorfbewohnern gnädig?“
„Nein, mir ist nichts derartiges aufgefallen.“ Fenner schüttelte den Kopf. „Was soll das aber?“
„Für mich hat das nur eine Bedeutung, und das erklärt auch
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