074 - Die mordenden Leichen
Vorhaben aufzugeben.
Er machte sich auf den Weg zum Gasthof, änderte aber unterwegs seinen Plan und schritt auf Chambers’ Haus zu. Zu zweit würden sie sicher mehr Überzeugungskraft besitzen als einer allein. Vielleicht würde es ihm endlich gelingen, sie von der Idee abzubringen, er wolle sie aus irgendwelchen eigennützigen Gründen von hier fort haben.
Angela de Ruys öffnete ihnen und schaute sie nicht gerade freundlich an.
„Oh, Dr. Fenner und Mr. Chambers“, sagte sie. „Ich vermute, daß dies mehr als ein Anstandsbesuch ist, noch dazu so früh am Morgen.“
Die beiden Männer traten ein.
„Wir müssen unbedingt mit Ihnen sprechen, Fräulein de Ruys“, erklärte Fenner und nahm unaufgefordert Platz. Mit Unbehagen stellte er fest, daß sie stehen blieb.
„Ich wußte nicht, was wir zu besprechen hätten, Dr. Fenner“, sagte sie in feindseligem Ton.
„Fräulein de Ruys“, warf Chambers ein. „Sie wissen doch selbst, daß seit unserer letzten Unterredung allerhand geschah.“
„Was hat das mit mir zu tun?“ Fenner hätte schwören können, einen Augenblick lang etwas wie Furcht in den Augen des Mädchens gesehen zu haben.
„Wissen Sie etwas über die Vorgänge der vergangenen Nacht?“ fragte Fenner unumwunden.
Die Züge des Mädchens wurden undurchdringlich. „Wenn Sie Ihren Freund Kennaway und dessen Frau meinen … ja, ich habe bereits davon gehört. Es tut mir leid, aber ich sehe nicht ein, was das mit mir zu tun haben soll. Ich habe heute viel auf dem Schloß zu tun, bin also sehr in Eile.“
„Bitte, setzen Sie sich“, bat Fenner. „Auch darüber müssen wir mit Ihnen sprechen. Glauben Sie uns, Fräulein de Ruys, wir hätten Sie nicht belästigt, wenn die Angelegenheit nicht so außerordentlich wichtig wäre.“
Nach kurzem Zögern setzte sie sich.
Fenner schauderte. Noch vor ein oder zwei Tagen war dieses Mädchen charmant und lebhaft gewesen, überschäumend vor Tatendrang. Nun hatte sie sich völlig verändert, in wenigen Stunden. Etwas war in sie geschlüpft, aber er konnte nicht genau sagen, was es war.
„Kommen Sie bitte zur Sache“, forderte sie den Doktor auf. „Und fassen Sie sich kurz, ich habe heute mehr als genug zu tun.“
„Sie werden vielleicht gehört haben, daß Mrs. Kennaway während der vergangenen Nacht verstarb, und daß wir für den Geisteszustand ihres Mannes fürchten.“
„Man hat mir davon erzählt“, sagte sie. „Was aber hat das mit mir zu tun?“
„Sie werden sich sicherlich erinnern, daß wir Sie vor einigen Tagen warnten, sich in Dinge einzulassen, von denen Sie nichts verstehen. Doch Sie zogen es vor, unsere Warnungen in den Wind zu schlagen und Ihre Pläne mit dem Schloß weiter zu verfolgen. Ich nehme an, daß Sie noch immer die Absicht haben, nach seiner Fertigstellung dort zu wohnen.“
„Selbstverständlich. Wenn Sie glauben, daß der Tod einer närrischen alten Frau, die aus Angst vor irgend etwas starb, was sie zu sehen vermeinte, mich von meinen Plänen abhalten kann, dann liegen Sie falsch. Ich habe mich zu diesem Umbau entschlossen, und nichts kann meine Absicht umstoßen.“
„Das habe ich befürchtet“, meinte Chambers. Er rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her und fuhr sich verzweifelt durch das schüttere Haar. „Die Sache hat bereits Ausmaße angenommen, Fenner, die ich eigentlich voraussehen hätte sollen …“
„Was, in aller Welt, meinen Sie“, rief das Mädchen. Ihre Stimme war scharf wie ein Peitschenknall. Fenner entdeckte in ihrer Stimme einen boshaften Unterton, den er von diesem freundlichen, schüchternen Mädchen nie erwartet hätte. Was wohl konnte sie in so kurzer Zeit verändert haben? Begann sie, die Atmosphäre des Schlosses zu absorbieren?
Fenner lehnte sich in seinem Sessel vor und sah dem Mädchen fest in die Augen. „Fräulein de Ruys! Können wir die Sache nicht wie erwachsene, zivilisierte Menschen besprechen? Anscheinend hat sich in Ihrem hübschen Kopf die Vorstellung festgesetzt, wir hielten Sie von Ihren Plänen ab, weil wir Sie nicht hier im Dorf haben wollen. Nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein als diese irrige Annahme.“
„Leider kann ich Ihnen nicht Glauben schenken, Dr. Fenner“, antwortete das Mädchen mit Bitterkeit in der Stimme. „Alle sind von Anfang an gegen mich gewesen. Niemand im
Dorf wollte für mich arbeiten, trotzdem ich ihnen doppelt soviel bot als den Leuten aus der Stadt.“
„Sie haben die Lage völlig mißverstanden“,
Weitere Kostenlose Bücher