074 - Die mordenden Leichen
ebenfalls heute nacht bei mir zu bleiben?“ fragte Chambers hoffnungsvoll.
Fenner nickte. „Vielleicht ist etwas Wahres an dem alten Sprichwort, daß in der Menge die Sicherheit am größten ist.“
„Mir schwant, daß wir diese Nacht nicht viel Schlaf finden werden.“
„Das Gefühl habe ich auch“, meinte Fenner. „Ich frage mich nur, ob ich nach den heutigen Erlebnissen überhaupt jemals wieder gut schlafen kann.“
„Morgen werden wir noch einmal mit Fräulein de Ruys sprechen. Sie muß die Überzeugung gewinnen, daß sie Unheil über unser Dorf bringt.“ Er goß sich einen Brandy ein und reichte Fenner die Flasche.
„Nun fängt die Prophezeiung Henry de Ruys’ an, Wirklichkeit zu werden“, fuhr er fort. „Wir müssen ihr klar machen, daß ausschließlich sie die Ursache der letzten Geschehnisse ist. Es wird nicht leicht für sie sein, das zu glauben, aber irgendwie müssen wir sie dazu bringen, die Dinge aus unserer Sicht zu betrachten.“
Fenner nippte schweigend an seinem Glas. Insgeheim zweifelte er am Erfolg.
„Sie glauben also nicht, daß Angela de Ruys ihre Absicht aufgeben wird?“ fragte Chambers direkt.
„Ich bin überzeugt, daß wir bei dieser jungen Dame auf Granit beißen werden. Für sie ist alles nur Dorftratsch – Altweibergeschwätz. Solange sie nicht sieht, was wir gesehen haben, wird sie uns nicht glauben.“
„Verstehe. Wäre auch zu erwarten gewesen“, meinte Chambers. „Doch vielleicht gibt es einen Weg, sie zu überzeugen.“
Fenner rauchte. Sein Herzrhythmus hatte sich langsam wieder normalisiert in der vertrauten Umgebung. Sein Verstand aber weigerte sich, das Erlebte so schnell zu vergessen.
Kennaway lag nun im Nebenzimmer auf dem Bett, ohne Bewußtsein, ohne Wissen um die volle Wahrheit. Bei diesen Überlegungen fiel Fenner wieder ein, daß er noch eine leidige Pflicht hatte. Er stand auf und ging ans Telefon.
„Inspektor Weldon?“ Er räusperte sich. „Verzeihen Sie bitte die Störung zu so ungewöhnlicher Stunde, Inspektor. Hier spricht Dr. Fenner. Ich möchte den Tod von Mrs. Kennaway melden.“
Im Dämmerlicht des frühen Morgens, in der kalten, klaren Luft, fror Fenner erbärmlich. Die Bäume im Garten der Kennaways standen da wie trübe Schatten. Fenner spürte noch immer die Schrecken der vergangenen Nacht, als er nun dem Polizeiinspektor gegenüberstand.
„Ich habe alles, was ich weiß, zu Protokoll gegeben, Weldon. Ich kann nichts mehr hinzufügen. Falls ich es aber täte, würden Sie mir ohnehin kein Wort glauben.“
„Sie meinen, daß Mrs. Kennaways Tod etwas mit den Gerüchten zu tun haben könnte, die seit Pendrakes Tod im Dorf laut wurden?“ Der Inspektor fixierte Fenner neugierig.
Fenner fragte sich, wie viel der Inspektor wohl wissen mochte, oder vielmehr erriet. Vielleicht mehr, als er glaubte. Doch in einem so kleinen Dorf, mit seinen abergläubischen Menschen, mit einem so unheimlichen, über allem lauernden Schloß, war es verständlich, daß die Menschen in erster Linie an das Übernatürliche glaubten. Selbst so nüchterne und praktisch denkende Menschen wie Inspektor Weldon.
„Verstehen Sie, was ich meine“, fuhr der Inspektor fort und spähte nach den Fenstern des stillen Hauses. „Hier sind schon oft genug die merkwürdigsten Dinge geschehen. Und jetzt kommt diese junge Frau aus Amerika und behauptet, ein direkter Nachkomme der Familie aus dem Schloß zu sein. Ob sie es nun wirklich ist oder nicht, geht mich nichts an.
Aber eines weiß ich ganz gewiß: Seit sie da ist, geschah allerhand, und Gerüchte tauchten auf, die mir gar nicht gefallen.“
„Glauben Sie diesen Gerüchten, Inspektor?“
„Ich weiß nicht. Ich bin kein abergläubischer Mann, Doktor. Aber bei meinem Job muß man sich über alles Gedanken machen, auch wenn man bezweifelt, daß etwas Wahres dran ist. Mit wem immer man auch spricht, jeder redet über das gleiche. Und wo Rauch ist, ist auch Feuer, sagt ein altes Sprichwort. Wissen Sie, Doktor, ich bin sicher, daß dort oben allerhand geschieht. Besonders nach Einbruch der Dunkelheit. Die Handwerker weigerten sich, nach Sonnenuntergang noch zu arbeiten, und ich weiß, das nichts auf der Welt sie dazu bringen könnte, in der Dunkelheit dort zu bleiben.“ Er atmete aufgeregt. „Ich will gar nicht zu viel über diese Dinge wissen, die mich nichts angehen. Wenn aber Menschen wie Mrs. Kennaway auf so gräßliche Weise sterben müssen, dann muß ich eingreifen, ob ich nun will oder
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