0740 - Todesgruß der Templer
Er griff zu einer kleinen Flasche Sodawasser, trank einen Schluck, und den Rest vermischte er mit einem guten alten Scotch.
Er liebte den Whisky am Abend. Der Trank gab ihm das Gefühl, die normale Welt hinter sich gelassen zu haben, aber er nahm nie mehr als zwei oder drei Drinks.
Mit dem Glas in der Hand und einem leeren Blick in den Augen wanderte er quer durch den Raum und blieb vor dem breiten Fenster stehen, um nach draußen zu schauen.
Sir Dean befand sich im ersten Stock. Eine Etage tiefer lagen die Räume seiner Anwaltspraxis, und als er durch die Scheibe schaute, da hatte er den Eindruck, in eine fremde und andere Welt zu schauen und nicht in seinen eigenen Garten.
Es war sowieso ein trüber, naßkalter Februartag, der auf die Stimmung der Menschen drückte. Da blieb man am besten zu Haus oder in seinem Büro. Draußen floß Nieselregen aus tiefliegenden Wolken, kroch die Feuchtigkeit in breiten Schwaden auch vom Boden her in die Höhe, trieb aus den Gullys und vermischte sich mit den langen Dunstfahnen, die an den Ufern der Themse entlangglitten, als wären sie gewaltige Geister, die das Totenreich verlassen hatten.
Der Garten schwamm in dieser dunstigen Suppe. Nebel legte sich als Schleier über die Bäume. Die alte Trauerweide am Zaun war kaum noch zu erkennen. Sie wirkte wie ein eingepackter Riesenrock, der mit seinem blättrigen Saum die Erde berührte.
Sie trauerte um Eireen.
Auch er trauerte um sie. Wieder einmal wurde ihm bewußt, daß seine Frau nicht mehr lebte. Er ballte die Hände zu Fäusten und spürte seine Fingernägel, die in das Fleisch der Ballen stachen.
Wie ein Gespenst stand er am Fenster und schaute in den grauen Tag. Natürlich hätte Sir Dean die Polizei informieren müssen. Die Leiche mußte abgeholt und untersucht werden, aber wer würde ihm schon Glauben schenken, daß seine Frau aus dem Unsichtbaren heraus ermordet worden war? Da gab es keinen. Polizisten waren Realisten, das mußten sie einfach sein. Sie hörten auch zu viele Ausreden.
Der Tod seiner Frau war keine.
Leider nicht…
Er wandte sich ab. Plötzlich zitterte das Glas in seiner. Hand. Er trank es hastig leer. In seinem Mund breitete sich der rauchige Geschmack aus. Er spürte ihn noch, als er wieder hinter seinem dunklen Schreibtisch Platz nahm.
Er wartete.
Nur wußte er nicht, auf wen oder auf was. Er saß einfach nur da und schaute ins Leere. Sir Dean Ellroy gehörte zu den guten Anwälten in London. Er war berühmt für seinen analytischen Verstand, er hatte als Wirtschaftsanwalt Erfolge errungen, er wurde von zahlreichen Firmen und Konzernen kontaktiert. Dazu brauchte er Kraft, und es war immer wieder Eireen gewesen, die ihn dabei unterstützt hatte. Sie, die große Liebe seines Lebens.
Jetzt war sie tot.
Grausam durch eine Waffe aus dem Unsichtbaren getötet worden. Eiskalt, brutal, ohne jede Rücksicht, als sie in seinem Bett gelegen hatte. Er hatte sterben wollen, er stand als nächster auf der Liste des unseligen Fluchs aus tiefer Vergangenheit.
Sir Dean hörte sich schwer atmen. Er starrte auf seine Telefonanlage. Er mußte Hilfe holen. Allein und aus eigener Kraft konnte er sich aus diesem verdammten Geflecht nicht befreien. Es verdichtete sich immer stärker, je mehr er darüber nachdachte. Bald würden sie alle gestorben sein, und nie gab es eine Spur.
Das mußte sich ändern.
Noch hatte er Glück gehabt.
Auch ein zweites Mal?
Er konnte daran nicht glauben. Sir Dean war ratlos. Etwas, das in seinem Berufsleben nur selten passierte. Hier hatte es ihn schlagartig erwischt.
Es vergingen trotzdem noch mehr als dreißig Minuten, bis er einen Entschluß gefaßt hatte. Aus diesem Sumpf konnte er sich nicht mehr aus eigener Kraft hervorziehen. Er mußte Hilfe anfordern und sich dem Helfer auch offenbaren.
Er würde etwas über die Bruderschaft berichten müssen. Besser als ein Versprechen zu brechen, als tot zu sein.
Seine Hand zitterte trotzdem, als er den Hörer umklammert hielt. Für einen Moment, der ihm endlos erschien, kam er sich vor wie ein Verräter. Dann schüttelte er den Kopf und wählte eine bestimmte Nummer. Er kannte den Mann, den er anrufen wollte, relativ gut. Sie waren sich schon einige Male bei Clubabenden begegnet, hatten beruflich nie miteinander zu tun gehabt.
Sir Dean Ellroy wußte nur, daß dieser Mensch eine Abteilung leitete, die nur aus wenigen Mitarbeitern bestand, die jedoch sehr wirtschaftlich arbeiten sollte, wie er einmal durch Zufall in Erfahrung gebracht
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