0743 - Die Kinder des Adlers
nächsten Frühjahr machen wir uns eilends auf die Suche.«
»Du kannst es kaum erwarten, von hier zu verschwinden«, murmelte der Berater Montezumas. Und unhörbar fügte er hinzu: »Ich kann dich verstehen!«
Als sie den Palastbereich verlassen hatten, wandte sich Xapac an Itzcuin.
»Ich danke dir, dass du für mich gelogen hast«, sagt er.
Mehr war über die Sache nicht zu sagen. Es gab keine Späher, die zurückgekehrt waren. Es gab noch nicht einmal Späher, die ausgesandt worden waren.
Einige Tage später marschierte Xapac an der Spitze seiner Truppe, gefolgt von einer Karawane von Trägern, zur Küste. Er blickte nicht zurück auf Tenochtitlan, die Hauptstadt des Aztekenreiches…
***
»Noch eine Tasse Kaffee gefällig?«, fragte Butler William, um dann hoffnungsvoll hinzuzufügen: »Ich könnte allerdings auch einen ausgezeichneten Darjeeling aus der Frühjahrsernte mit feinherbem Malzaroma anbieten…«
Der heroische Versuch, seine Herrschaften zur feinen britischen Lebensart zu bekehren, war auch in diesem Fall zum Scheitern verurteilt.
Professor Zamorra hob nur kurz die Nase aus seinen Papieren und machte einen eindeutigen und ziemlich energischen Fingerzeig auf seine leere Kaffeetasse.
Und auch seine Lebens- und Kampfgefährtin Nicole Duval schenkte dem dienstbaren Geist zwar ein atemberaubendes Lächeln, antwortete aber: »Sie wollen mir doch diesen herrlichen Morgen nicht mit aufgemotzter Waschlauge verderben. Danke, ich bleibe bei Ihrem ausgezeichneten Kaffee.«
Damit war William zumindest, ansatzweise mit den barbarischen Sitten des Kontinents versöhnt und zog sich zurück.
Es war wirklich ein herrlicher Morgen im Frühherbst. Die Sonne hatte die Morgennebel vertrieben und warf ihr frühes Licht auf die Rasenfläche unterhalb von Château Montagne. Noch glitzerte der Tau auf dem Gras, Spinnweben lagen wie silbrige Schalen voller Tröpfchen zwischen den Halmen. Die Blätter der alten Bäume zeigten schon ein kräftiges Gelb oder ein brennendes Rot zwischen dem Grün, das noch an den Sommer erinnerte.
Obwohl der Morgen angenehm frisch war, versprach der Tag noch einmal eine letzte Erinnerung an die Sommerhitze, bevor der Herbst endgültig die Pullover-Saison einläuten würde.
Eigentlich waren Zamorra und seine Gefährtin Nachtmenschen, die bis zur Morgendämmerung arbeiteten und den Vormittag verschliefen. Das hing teilweise mit ihrer Profession zusammen, Dämonen, Vampire, Werwölfe und Gespenster zu jagen. Und die krochen am ehesten bei Nacht aus ihren Verstecken.
Diesmal hatte es sich so ergeben, dass sie beide wesentlich früher »Feierabend«, gemacht hatten, und deshalb auch früher wieder auf den Beinen waren. Und sie bereuten das frühe Aufstehen nicht. Das Bild, das sich ihnen bot, war einmalig.
Sie waren für ein paar Tage auf der anderen Seite der Welt gewesen, entsprechend machte sich die Zeitverschiebung bemerkbar. Normalerweise störte der Jetlag sie nicht, sie nahmen ihn so gut wie gar nicht wahr, weil sie es gewohnt waren, ständig überall in der Welt unterwegs zu sein - heute hier, morgen dort…
Diesmal aber hatte es sie wohl beide gleichzeitig erwischt.
Zamorra hatte an der Universität von Peking eine Gastvorlesung gehalten, zur Überraschung von Studenten und Professoren in der Mandarin-Sprache, die er leidlich beherrschte. Er hatte anfangs selbst nicht geahnt, wie gut er damit zurechtkam. Irgendwie musste es mit einem Teil seiner Vergangenheit zu tun haben, mit Fu Long und Kuang-shi. Aber an diese Vergangenheit konnte er sich nicht erinnern. Vielleicht hatte sie in dieser Form noch gar nicht stattgefunden, und er musste erst eine Zeitreise durchführen, um sie zu initiieren. Was aber nichts daran änderte, dass er sie in Wirklichkeit bereits erlebt hatte…
Es kam immer wieder zu solchen Phänomenen, aber selten waren sie ihm so bewusst geworden wie in den letzten zwei Jahren.
Zu der Vorlesung kam, dass Zamorra und Nicole sich verschiedene Sehenswürdigkeiten angeschaut hatten und ihr Tagesprogramm äußerst vollgestopft gewesen war - wann kam man schon einmal nach China, speziell in die Hauptstadt? Auch hatte er gehofft, möglicherweise Hinweise auf Fu Long zu finden. Aber das blieb ein unerfüllbarer Wunschtraum.
So war die Müdigkeit des vergangenen Abends, direkt nach der Rückkehr, kein Wunder.
Die Koffer standen noch unausgepackt da…
Was durchaus keine Seltenheit war. Erst wenige Tage vor ihrem China-Trip hatten sie in Schottland zu tun gehabt, in
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