0743 - Die Kinder des Adlers
einer der Anführer der Adlerritter gab ihm einen hohen Rang im Reich der Azteken. Aber Xapac war die Härten des Krieges gewohnt und fürchtete nichts so sehr wie Verweichlichung und Bequemlichkeit. Aber was hätte auch das behaglichste Bett genutzt, wenn sich der Mensch, der darauf liegt, vor dem Schlaf noch mehr fürchtet wie vor dem Wachen in der Nacht?
Als der Klang von Muschelhörnern die ersten Zeichen der Dämmerung verkündeten, warf Xapac erleichtert die Decke zur Seite und stand auf.
Er war in dem Zustand überreizter Nervosität, der sein Leben seit längerem bestimmte. Die Geräusche der Stadt brandeten auf. Händler riefen ihre Waren aus, Frauen tratschten, Männer schrien sich über die Straße Grüße zu.
Der Adlerritter kleidete sich an, verschmähte das Frühstück, das ihm von der Dienerschaft bereitet worden war, nahm den Helm, seinen Schild und das Holzschwert mit der scharfen Schneide aus schwarzem Obsidian und begab sich zum Tempelbezirk.
Heute war es wieder seine Aufgabe, mit einigen Männern die Opferzeremonien zu überwachen. Meistens bestand ihre Pflicht nur darin, Gefangene, die zu schwach oder zu angstvoll waren, selbst die Stufen der Pyramide hochzusteigen, nach oben zu zerren, wo sie von den fünf Priestern in Empfang genommen wurden, die für die Opferung zuständig waren.
Im grauen Morgenlicht war die Flanke der großen Pyramide schon deutlich zu erkennen. Schwarzes geronnenes Blut befleckte die obersten zehn oder zwanzig Stufen.
Es sieht aus wie eine Zunge, als würde sich die Pyramide wie ein Raubtier die Lefzen lecken, dachte Xapac.
In schwarze Gewänder gehüllte Priester wanderten über das weitläufige Gelände. In den Händen hielten sie Tonschalen, aus denen duftende Weihrauchwolken aufstiegen. Aber selbst durch dieses würzige Aroma drang der Gestank nach Verwesung. Xapac brauchte nur genauer hinzuschauen, dann sah er die alten Männer, die am Fuße der Pyramiden damit beschäftigt waren, die Überreste der Opfer zu beseitigen. Sie kamen mit dieser Arbeit nicht nach. Wieder einmal nicht.
Und schon wurden die nächsten Gefangenen zur Opferung geführt. Eine endlose Reihe weiß gekälkter Männer, geschmückt mit Federn, gekleidet mit einem Lendenschurz aus Papier. Die meisten schauten stumpf vor sich hin. Sie kannten ihr Schicksal und nahmen es an. Manche mochten sogar stolz und froh sein. Andere waren unter Drogen gesetzt worden und wieder andere zitterten am ganzen Leib.
Xapac war es gewohnt, bei Männern nach Zeichen von Angst, Schwäche oder Auflehnung zu forschen. Seine Blicke flogen an der Reihe entlang und fanden diejenigen, die den Ablauf des heiligen Zeremoniells durch Widerstand oder Feigheit stören könnten.
So verbrachte der Adlerritter Xapac den Tag, während an ihm die Opfer entlangzogen und auf die Pyramide stiegen. Dort wurde ihnen das Herz aus dem Leib gerissen, damit sich die Götter dem Reich der Azteken mit Gnade zuwenden möchten.
Während dieses Tages reifte in Xapac ein Entschluss.
Am Abend bat er um eine Palastaudienz für den nächsten Tag und bestellte zugleich für den nächsten Morgen einen seiner besten Männer zu sich.
»Du bestätigst, was ich sage«, war die knappe Anweisung, die er diesem Krieger gab, bevor sie sich zum Palast begaben.
Sie wurden in einem der inneren Höfe von einem der engsten Berater Montezumas empfangen. Der Kaiser Montezuma II. selbst, ›derjenige der spricht‹, sprach nicht. Er hatte sich einmal mehr in seine Gemächer verkrochen, beriet mit den Oberpriestern und Sehern und grübelte voller Furcht über die Vorzeichen nach, die das Reich mit düsteren Ahnungen erfüllten. Dabei hoffte er, dass sich die Götter durch die Unmassen an geopferten Menschenleben umstimmen ließen.
»Ich hörte, dass du einen Vorschlag zu machen hast«, begann der Berater das Gespräch. Es war ein alter Mann, der seine Körperfülle unter einem prachtvoll mit Kolibrifedern verzierten Mantel verbarg. Seine wachen Augen und der energische Zug um den Mund machten Xapac jedoch deutlich, dass es für diesen Mann mehr gab als Genuss und die Festlichkeiten des Kaiserhofs.
»So ist es«, antwortete Xapac etwas steif. Er war es nicht gewohnt, sich an das Zeremoniell des Hofes zu halten und fühlte sich unwohl in seiner Haut. In gewisser Hinsicht beneidete er seinen Begleiter, der sich als Rangniedriger darauf beschränken durfte, einige Schritte abseits zu stehen und den Kopf bescheiden gesenkt zu halten.
»Es gibt Dinge, die mir
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