0747 - Die Körperlosen von Grosoth
erzählt hatte.
Die beiden jungen Männer wollten versuchen, es herauszufinden, aber vorerst mußten sie noch warten.
Auf dem Platz vor der Juchte hatten sich bereits mehrere hundert Männer und Frauen aller Altersgruppen versammelt, und ständig strömten weitere nach. Es war niemand da, der ihnen Weisungen gab, und doch verhielten sich alle ruhig, niemand versuchte zu drängeln. Langsam schob sich die Masse auf die Juchte zu, aber Erwisch und Preschtan war der Blick nach vorn versperrt. Irgend etwas geschah drüben vor dem Gebäude, doch sie konnten nicht erkennen, was. Sie sahen lediglich, daß sich in bestimmten Abständen kleinere Gruppen absonderten, um dann in den Nebenstraßen zu verschwinden, wo es zahlreiche Basare und Wirtshäuser gab.
„Wenn das im gleichen Tempo weitergeht, wird es eine Stunde dauern, bis wir nach vorn kommen", raunte Preschtan seinem Freund zu. Erwisch hob die Schultern.
„Jetzt sind wir einmal hier, nun gibt es kein Zurück mehr", gab er ebenso leise zurück. „Im übrigen haben wir ja genügend Zeit, die GRAGAN wird kaum vor dem Abend auslaufen können."
Er verstummte, als ihn einige mißbilligende Blicke seiner Nachbarn trafen. Niemand sonst sprach ein Wort, alle schienen ganz in sich gekehrt zu sein und sich auf das Geschehen vorzubereiten, das sie erwartete.
Sie hatten etwa die Mitte des Platzes erreicht, als sie endlich erkennen konnten, was sich vor der Juchte tat.
Vor der breiten Steintreppe, die zu dem Portal hinaufführte, gab es einen etwa fünf Manneslängen messenden freien Raum. Dort warfen sich diejenigen, die gerade an der Reihe waren, zu Boden und vollführten eine Reihe von offenbar vorgeschriebenen Bewegungen mit den Armen. Dann lagen sie etwa eine Minute lang ganz still da, um sich dann wieder zu erheben und den Platz zu verlassen. Rein äußerlich geschah nichts, und doch zeigten die Gesichter der Männer und Frauen anschließend einen seltsam in sich gekehrten, fast entrückten Ausdruck.
Tatsächlich mochte fast eine Stunde vergangen sein, bis sich die beiden Seeleute endlich in der ersten Reihe befanden. Sie wagten nicht mehr zu reden, sondern verständigten sich nur mit Blicken. Für sie kam es darauf an, sich die rituellen Bewegungen genau zu merken, um keine Fehler zu begehen, die vielleicht verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen konnten.
Dann waren sie an der Reihe. Zusammen mit etwa zehn anderen Personen warfen sie sich zu Boden und erhoben ihre Arme.
Während der übrige Platz nur mit dem üblichen groben Steinpflaster belegt war, gab es hier direkt vor der Juchte eine vollkommen glatte Fläche. Sie schien aus dem gleichen Material zu bestehen wie das Gebäude selbst, und sie war mit einem Muster von seltsamen vielfarbigen Zeichen verziert. Keines davon schien irgendwie sinnvoll zu sein, und doch übten die Farben und die vielfach verschlungenen Linien eine unbestimmte, die Tiefen des Geistes ansprechende Wirkung aus.
Erwisch bemerkte allerdings nicht viel davon.
Die Blasen an seinen Füßen hatten ihm die ganze Zeit über zu schaffen gemacht, sie schienen sich in der Zwischenzeit sogar noch vermehrt zu haben. So begrüßte er es dankbar, daß er die geplagten Füße endlich entlasten konnte, und streckte sich mit einem leisen Seufzer der Erleichterung auf dem Boden aus. Er drückte das Gesicht auf die kühle Fläche, hob die Arme und bewegte sie so, wie er es von den anderen vor ihm gesehen hatte. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Preschtan das gleiche tat, dann lagen beide still da.
Sie warteten, ohne zu wissen, worauf. Lange Sekunden vergingen, aber nichts geschah. Wo blieben die angeblichen Segnungen der Gottheit...!
Enttäuschung stieg in Erwisch auf, doch im nächsten Augenblick zuckte er unwillkürlich zusammen.
Eine seltsame fremde Kraft hatte seinen Geist berührt!
Er hatte nie etwas Ähnliches gespürt und konnte sich nicht vorstellen, was mit ihm vorging, aber es berührte ihn zutiefst. Ein Gefühl der Ruhe und des Friedens überkam ihn, all seine Probleme schienen gegenstandslos zu werden, alle Sorgen zur Bedeutungslosigkeit herabzusinken.
Es war ein so wohltuendes Gefühl, daß Erwisch sich wünschte, es möge niemals enden.
Und doch endete es abrupt - ein wüstes Geschrei erhob sich plötzlich um die beiden jungen Männer herum!
Verstört sahen sie auf und bemerkten, daß alle anderen, die neben ihnen gelegen hatten, plötzlich aufgesprungen waren.
Jetzt war an ihnen nichts mehr von Sammlung oder Andacht zu bemerken -
Weitere Kostenlose Bücher