0752 - Lauras Leichenhemd
und mit einer hilflosen Geste strich ich über ihr dunkles Haar, ohne sie jedoch trösten zu können.
Im Haus brannte mittlerweile das Licht. Es leuchtete den Flur aus, streifte auch über die Treppe, an deren Stufen ich in die Höhe schaute, bis zum ersten Absatz.
Dort lag der Mann.
Neben ihm stand eine Frau. Sie hatte die Hände vor ihr Gesicht geschlagen, und weinte bitterlich.
Ich sah auch Laura und ein noch kleineres Mädchen als das, das mir die Tür geöffnet hatte, neben ihr.
Dann ging ich die Treppe hoch.
Ich kam mir vor wie ein Eindringling, wie jemand, der brutal die Trauer der Menschen zerreißt. In diesem Augenblick fing ich an, meinen Beruf zu hassen, aber es musste sein, es gab leider keinen anderen Weg, und so ging ich weiter.
Auf dem Treppenabsatz blieb ich stehen.
Mrs. Saracelli hatte mich noch nicht zur Kenntnis genommen. Sie war bis an die Wand zurückgegangen und lehnte dagegen, denn sie brauchte sie als erste Stütze.
Als zweite verließ sie sich auf Tochter Laura, die mit unbeweglichem und auch wachsbleichem Gesicht neben ihrer Mutter stand und eine Hand um deren Ellbogen geklammert hatte.
Ich senkte den Blick.
Erst jetzt bestätigten sich meine Befürchtungen. Der Mann lebte nicht mehr. Er hatte sich wahrscheinlich das Rückgrat gebrochen oder auch das Genick, und es musste beim Sturz von der Treppe in die Tiefe passiert sein.
Wieder ein Toter.
Der vierte inzwischen.
Und wieder ein normaler Todesfall!
Ich knirschte vor Wut mit den Zähnen. Es gab nichts zu beweisen, es gab keinen Grund, die Polizei einzuschalten. Man würde die Leiche abholen, sie untersuchen und feststellen, dass keine äußeren Gewaltanwendungen zu entdecken waren.
Und doch traute ich dem Braten nicht. Das war ein verdammt schlimmer Kreislauf aus Mord und Elend, in den ich da hineingeraten war. Sollten die Todesfälle auch äußerlich eine völlig normale Ursache gehabt haben? Ich war vom. Gegenteil überzeugt.
Ich kümmerte mich um das kleine Mädchen. Legte meine Hände auf ihre Schulter und schob es durch eine offen stehende Tür in ein nahes Zimmer.
Würde sie die nächste werden? Oder vielleicht die Kleine, die mir die Haustür geöffnet hatte? Möglicherweise auch die Mutter? Ich konnte darauf keine Antwort finden und deshalb keine geben.
»Wie heißt du denn?« fragte ich sie.
»Anna.«
»Gut, Anna. Du legst dich jetzt in dein Bettchen und…«
»Ist Papa tot?«
Verflixt, was sollte ich ihr antworten? Sie mit der grausamen Wahrheit konfrontieren?
Ich brachte es nicht fertig. »Dein Daddy schläft Anna. Er schläft tief und fest.«
Der kleine schwarzhaarige Lockenkopf, nickte. Dann kroch Anna in ihr Bett und zog die Decke so weit über sich, dass von ihr nicht einmal eine Haarspitze zu sehen war.
Ich verließ den Raum wieder, und ich war von einem verdammt bitteren Gefühl überschwemmt worden.
Auf dem Treppenabsatz hatte sich nichts verändert. Mrs. Saracelli war noch immer nicht in der Lage, ein Wort zu sprechen. Sie stand unter einem schweren Schock. Es würde lange dauern, bis sie es schaffte, sich den Tatsachen zu stellen.
Einer anderen ging es besser. Wenigstens äußerlich, und deshalb konzentrierte ich mich auf Laura.
Sie schaute mich an.
Ich wich ihrem Blick nicht aus und versuchte, in ihren Augen zu lesen. Nichts nahm ich dort wahr. Keine Tränen, kaum Trauer oder Bedauern, der Blick blieb klar oder sogar hart.
Ich nickte ihr zu.
Keine Reaktion.
»Du kennst mich?« fragte ich sie.
Auch, jetzt zögerte Laura mit ihrer Antwort. Erst nach einer Weile nickte sie mir zu. »Ich habe Sie heute schon, gesehen. Sie standen an der Schule.«
»Ja, zusammen mit Mr. Conolly.«
»Stimmt.«
Mehr sagte sie nicht, und ich wechselte das Thema, fragte dann.
»Wunderst du dich gar nicht, dass ich plötzlich hier bin? Gibt dir das nichts zu denken?« Wieder diese Frage, die mir einen Schauer über den Körper jagte.
»Nein.«
»Tatsächlich nichts?«
Sie hob die Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht Zufall.« Sie sprach leise, ohne Modulation in der Stimme. Auf mich wirkte sie insgesamt gesehen wie ein Fremdkörper.
»Wie ist das mit deinem Vater passiert?«
»Ich habe nichts gesehen.«
»Rede trotzdem.«
»Die Treppe«, flüsterte sie »die Treppe runter gefallen.«
»Und was tatest du?«
»Ich hörte nur ein Poltern, das war alles. Dann bin ich aus meinem Zimmer gekommen und sah ihn liegen.« Ihre letzten Worte versickerten. Sie war dabei, so etwas wie Trauer zu zeigen. Seltsam
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