0752 - Lauras Leichenhemd
nur, dass ich ihr einfach nicht glauben konnte.
»Ist die Treppe sehr glatt?«
Sie hob die Schultern. »Manchmal.«
Ich ging hin und schaute mir die Stufen an. Ja, sie sahen glatt aus.
Möglicherweise auch deshalb, weil das Licht der Treppenhausbeleuchtung auf das Holz schien und es an gewissen Stellen so aussehen ließ wie ein Spiegel.
Ich fühlte nach und kam zu dem Entschluss, dass sie nicht glatter war als andere Treppen auch. So konnte alles geschehen sein, doch ich dachte darüber nach, ob der Mann tatsächlich nur ausgerutscht war oder ob ihn jemand gestoßen hatte.
Ich wandte mich an Laura mit einer Frage. »Wo führt die Treppe hin? Gibt es dort oben noch weitere Zimmer?«
»Da ist nur der Speicher.«
»Was heißt das?«
»Es wohnt dort niemand.«
»Gut.« Ich ging die Treppe hoch. Auf der zweiten Stufe schon holte mich Lauras Stimme ein.
»Sie werden nichts finden, nur Gerümpel.«
Ich drehte den Kopf. Laura stand in einer abwartenden Haltung, als wäre sie auf dem Sprung. »Manchmal interessiert mich auch altes Gerümpel, Laura.«
Sie hob nur die Schultern.
Ich konnte mir nicht helfen, aber sie machte auf mich den Eindruck, als wäre sie mir gern nachgelaufen. Doch sie hielt sich zurück, und ich erreichte das Ende der Treppe, wo ich einen winzigen Flur betrat. Vor mir war eine Tür. Durch sie konnte ich den Speicher betreten.
Das Licht brannte, und trotzdem kam mir der Raum vor wie eine dumpfe, stickige Welt, wo sich die bösen Träume zuerst verselbständigt und dann zusammengeballt hatten.
Ich durchschritt den Speicher mit langsamen Schritten. Nichts rührte sich in meinem Gesicht.
Ich sah auch das Fenster, diesmal allerdings von innen, und mein Blick glitt über das zahlreiche Gerümpel hinweg, das hier oben aufbewahrt wurde.
Staub kitzelte meine Nase. Spinnweben klebten in den Winkeln zwischen den Balken.
Dann fiel mein Blick auf die alte Truhe. Ich trat näher an sie heran, nahm die kleine Lampe aus der Tasche und leuchtete die Truhe an.
Auf dem gebogenen Deckel entdeckte ich so gut wie keinen Staub, ein Zeichen, dass die Truhe oft geöffnet worden war. Es war hier der einzige Gegenstand, der keine durchgehende Staubschicht aufwies, und das musste auch einen Grund haben.
Ich hörte die Schritte, richtete mich wieder auf und sah, wie Laura den Speicher betrat. Sie drückte ihre Haare zurück, hob den Kopf an und straffte ihren Körper. Wie ein kleiner Roboter schritt sie auf mich zu.
Im rechten Winkel zur Truhe war ich stehen geblieben und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger gegen den Deckel. »Was ist damit, Laura?«
»Nichts.«
Ich verzog den Mund. »Sie sieht aus, als wäre sie des öfteren geöffnet worden.«
»Das stimmt.«
»Und warum?«
Laura legte den Kopf schief und winkelte ein Bein an. »Ich wusste nicht, was das einen Fremden angeht.«
»Da hast du im Prinzip recht. Ich bin fremd, aber ich habe auch einen Beruf, Laura. Ich bin Polizeibeamter. Ich arbeite für Scotland Yard. Da sehe ich die Tatsachen nun mal aus einem arideren Blickwinkel.« Bei meiner Erklärung hatte ich sie genau beobachtet, und so war mir das leichte Zucken nicht entgangen, als ich meine Firma erwähnte.
»Das ist nur eine Truhe.«
»Darf ich sie öffnen?«
Laura verdrehte die Augen, die dabei noch größer wurden. »Wenn Sie wollen, aber Sie werden nichts finden, denn darin bewahre ich nur meine Sachen auf.«
»Welche Sachen?«
»Klamotten. T-Shirts, Pullover, mal eine Jeans, ein Sweat-Shirt oder auch…«
»Es reicht, Laura.« Ich bückte mich und hob den Deckel an. Meine kleine Leuchte brauchte ich nicht. Das normale Licht reichte aus, um die Truhe auszuleuchten.
Laura Saracelli hatte mich nicht angelogen. In der Tat war die Truhe beinahe bis zum Rand mit Klamotten gefüllt. Darunter konnte man auch etwas verstecken. Da ich ein Mensch war, der immer alles genau wissen wollte, fing ich damit an, die Kleidungsstücke hochzuheben.
Laura schaute mir dabei zu. Hin und wieder warf ich ihr einen kurzen forschenden Blick zu, um ihre Reaktion zu testen Sie rührte sich nicht, sie stand einfach nur da und schaute zu. Mit vor dem Leib gefalteten Händen sah sie aus wie ein braves Mädchen, was ich ihr allerdings nicht abnahm.
Dabei erregte sie wirklich keinen Verdacht. Ich wusste auch nicht, wie ich sie behandeln sollte. Sie war kein Kind mehr, aber auch keine Frau. Sie schwebte in einem Zwischenzustand, obwohl sie schon kokettieren konnte, was bei ihr allerdings mehr in Spott
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