0752 - Lauras Leichenhemd
mit mir zu spielen, mich an der Nase herumzuführen.
Glenda merkte, was in mir vorging. »Wir schaffen es, John, wir schaffen es bestimmt.«
Ich hob nur die Schultern, denn so richtig überzeugt war ich davon nicht…
Apathie. Leblosigkeit. Trauer…
***
Das Haus schwieg, die Menschen schwiegen, es waren kaum Stimmen zu hören, und Marion Saracelli stand noch immer unter einem Schock. Sie hatte zwar Beruhigungsspritzen bekommen, die allerdings hatten den Vorhang der Lethargie über sie gelegt. Wenn sie es einmal schaffte, sich zu bewegen, dann geschah dies zeitlupenhaft langsam, und sie griff höchstens mal nach dem Glas mit dem Wasser, das in ihrer Reichweite stand.
Nur eine Person war voll und ganz die alte, traute sich aber nicht, sich so zu geben, weil sie auf keinen Fall irgendeinen Verdacht erwecken wollte.
Sie gab sich bekümmert und schaffte es sogar, hin und wieder leise zu weinen. Als sie wieder das Zimmer betrat, in dem die Mutter auf der dunklen Couch lag, fand sie die Frau noch immer in derselben Haltung vor.
»Mama…?«
Marion rührte sich nicht. Den Ruf ihrer Tochter hatte sie schlichtweg überhört.
Laura nickte und trat leise an das Sofa heran. Dicht daneben blieb sie stehen, die Beine zusammengelegt, vorgebeugt, die Arme ausgestreckt und die Handflächen gegen die Knie gedrückt. »Soll ich dir noch etwas zu trinken geben?«
»Nein.«
»Kann ich sonst etwas für dich tun?«
»Zieh die Vorhänge ganz zu. Ich will kein Licht!«
»Geht in Ordnung, Mama.« Das Licht fiel als breiter Balken durch den Spalt zwischen den beiden Vorhanghälften. Laura blieb davor stehen und schaute nach draußen.
Einige Nachbarn hatten sich auf dem Gehsteig versammelt und sprachen noch über den schrecklichen Vorgang der Nacht. Hin und wieder blickten sie scheu an der Fassade hoch. Einige wandten sich sogar schaudernd ab.
Laura lächelte eisig, als sie daran dachte, dass diese Menschen allesamt ihre Opfer werden konnten, denn das Leichenhemd brauchte Nachschub. Das wusste Laura mittlerweile.
Langsam zog sie den Vorhang zu, und Dämmerlicht fiel zurück in das Zimmer Laura drehte sich wieder um. Ihre Mutter schaute in ihre Richtung, ohne sie allerdings direkt wahrzunehmen. Ihre Augen zeigten einen glasigen Ausdruck, der Blick war nach innen und gleichzeitig ins Leere gerichtet.
Als Laura das Zimmer verlassen wollte, sprach ihre Mutter sie an.
»Bitte, ich möchte, dass du mir das Telefon an die Couch holst.«
»Warum? Willst du telefonieren?«
»Ich will es haben.«
»Gut, Mama.« Laura holte den Apparat und stellte ihn hin.
»Wenn es mich dann trifft, kann ich vielleicht Hilfe herbeiholen«, flüsterte die Frau. »Der Tod hat in unser Haus Einzug gehalten. Jetzt hat es Vater auch erwischt. Der Sensenmann wird uns alle holen, Laura, verstehst du?«
»Ein wenig.«
»Wir sind nicht mehr sicher. Wir müssen von hier wegziehen. Du und deine beiden Schwestern, ihr seid…«
»Später, Mama. Du kannst mir alles später sagen.«
»Willst du weg?«
»Ich muss gehen.«
»Wohin?«
»Nur so. Ich will noch von einer Freundin erfahren, was es in der Schule gegeben hat.«
»Mein Gott, Laura. Dass du jetzt an so etwas überhaupt nur denken kannst, will mir nicht in den Kopf.«
»Es lenkt mich auch ab, Mutter.«
»Da kannst du recht haben.«
»Bis später dann…«
Marion Saracelli nickte nur. Ihre Tochter verließ auf leisen Sohlen das Zimmer, und ebenso leise huschte sie die Treppe zum Speicher hoch. Erst als sie dessen Tür hinter sich geschlossen hatte, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Auf ihm ging die Sonne auf, sie strahlte plötzlich, denn sie sah ihren Plan in greifbare Nähe gerückt.
Wie leicht hätte er auch schief gehen können. Sie brauchte nur daran zu denken, wie dieser Polizist die Truhe durchwühlt hatte. Das Leichenhemd lag ganz unten. Es war versteckt gewesen unter normalen Kleidungsstücken, und der Bulle hatte sich zum Glück nicht die Mühe gemacht, es herauszuholen.
Durch das Fenster schien die Sonne. Sie malte einen breiten Streifen auf den staubigen Boden und traf auch eine in der Ecke stehende Leinentasche, auf die es Laura ankam.
Schnell hatte sie den Reißverschluss zurückgezogen. Mit der Tasche ging sie zu ihrer Truhe. Jetzt hatte sie Zeit genug. Sie öffnete sie und räumte die andere Kleidung zur Seite. Ihre Arme tauchten tief hinein. Sie spürte den anderen Stoff zwischen den Fingern und zog das Hemd hervor.
Sie hielt es fest, drehte sich und schwang es gegen das
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