0752 - Lauras Leichenhemd
Licht. Es strahlte beinahe auf, so schön war es. In der Tat war es für sie das tollste und ungewöhnlichste Kleidungsstück, das sie je besessen hatte. Und sie würde es nie hergeben.
Laura streifte es nicht über, sondern steckte es in die Leinentasche.
Sie würde das Haus verlassen, und sie würde so schnell nicht zurückkehren, deshalb packte sie auch noch einige andere Kleidungsstücke ein. Geld steckte in ihrer Hosentasche.
Es war okay.
Als sie die Tür öffnete, um der Treppe entgegenzugehen, hörte sie die Stimme ihrer Schwester Anna. Die Kleine lief durch den unteren Flur und verschwand auf der Toilette.
Auch ein Vorteil, denn niemand sollte sehen, wie Laura Saracelli das Haus verließ. Schnell und trotzdem leise huschte sie die Stufen der Treppe hinab. Sie befand sich schon dicht vor der Haustür, als Schwesterchen Anna die Toilette verließ.
Die Tür öffnen, hinauslaufen und…
»Willst du weg?«
Laura stieß einen katzenhaft klingenden Schrei aus, als sie Sandras Stimme hörte. Ihre Schwester war wie aus dem Nichts erschienen.
Sie hatte sich in der Küche aufgehalten. Jetzt stand sie in der offenen Tür und blickte zu Laura hoch.
»Ja, ich will weg.«
»Wohin denn? Keiner soll doch…«
»Ich muss zur Schule und zu einer Freundin. Verstehst du das nicht, Sandra?«
Die Zwölfjährige trank Saft. Als sie das Glas absetzte, war es leer.
»Kommst du denn wieder?«
»Klar, was soll das?«
»Wann denn?«
Laura verdrehte die Augen. »Das kann ich dir noch nicht sagen, Kleine, ehrlich nicht.«
»Ich habe aber Angst.« Sandra sah aus, als wollte sie jeden Augenblick anfangen zu weinen oder laut schreien. Und das konnte Laura auf keinen Fall gebrauchen. Sie wusste, wie sie ihre Schwester trösten konnte und nahm sie in den Arm.
»Nein, Sandra, du braucht keine Angst mehr zu haben. Es ist alles vorbei, das verspreche ich dir. Für uns ist alles vorbei, meine Liebe.«
»Mama hat aber Angst, dass sie auch stirbt.« Sandra weinte bei diesem Satz.
»Das braucht sie nicht mehr. Jetzt ist alles vorbei. Ich verspreche es dir noch einmal.«
Sandra nickte, schniefte einige Male und wollte dann wissen, ob Laura wirklich gehen würde.
»Ja, mein Schatz. Ich muss auch etwas einkaufen. Wir wollen doch nicht verhungern.«
»Ich habe aber keinen Hunger. Kriegst du denn bei deiner Freundin oder in der Schule etwas?«
»Nicht nur da.«
Sandra hatte noch mehr Fragen, doch ihre ältere Schwester wollte sich nicht länger als nötig aufhalten. Sie drückte Sandra noch zwei Küsse auf die Wangen und zog sich zurück.
Erst als die Haustür hinter ihr zugefallen und sie einige Schritte nach vorn gegangen war, atmete sie tief durch. Himmel, das war wirklich knapp gewesen. Sie hätte nicht so lange mit ihrer Schwester, sprechen dürfen. Es war für sie wichtig, so schnell wie möglich die Schule zu erreichen. Denn das gehörte zum nächsten Plan.
Laura Saracelli wusste, dass die Klasse, auf die es ihr ankam, bis in den späten Nachmittag Unterricht hatte. Es war Sport angesagt. Der zog sich meist noch etwas länger hin.
Wäre sie eine Minute länger im Haus geblieben, so hätte sie das Läuten des Telefons noch gehört. Aber sie hatte es eben eilig, sehr eilig sogar.
Jemand wartete.
Ein Schüler.
Und er sollte das nächste Opfer sein…
***
Glenda Perkins hatte John Sinclair und Suko gebeten, sie allein zu lassen, während sie mit Marion Saracelli sprach, und der Wunsch war ihr auch genehmigt worden.
Sie hatte lange auf die unter Beruhigungsmitteln stehende Frau einreden müssen, um ihr klarzumachen, was sie von ihr wollte. Es war für Mrs. Saracelli schwer gewesen, dies zu begreifen, letztendlich aber hatte sie zugestimmt, und Glenda Perkins hatte sich sofort in den Wagen gesetzt und war zu ihr gefahren.
Jetzt stand sie vor dem Trauerhaus. Beobachtet von zahlreichen Augen, denn die Nachbarschaft war aufmerksam geworden. Man registrierte eben jede Veränderung.
Glenda kümmerte sich nicht um die Blicke. Sie drückte den Klingelknopf und wartete. Von John hatte sie schon einiges über Laura erfahren. Sie war gespannt darauf, wie diese Person auf sie wirkte, wenn sie vor ihr stand.
Da beim ersten Klingeln niemand öffnete, unternahm sie einen zweiten Versuch. Diesmal klappte es. Ein junges Mädchen zog die Tür auf, und Glenda wusste sofort, dass es nicht Laura war.
»Wollen Sie zu uns, Miss?«
Das Mädchen schabte über sein gelbes T-Shirt. Es hatte wunderschöne dunkle Augen und ein sehr fein
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