0752 - Lauras Leichenhemd
sowieso schon bestehende Muster aus Falten bekam eine andere Form. Dann ging sie auf die Tür zu. Der Teppich schluckte ihre Schritte, deshalb hörte sie auch die anderen draußen im Flur, die sich von oben her näherten.
Es gab nur eine Person, die jetzt noch außer ihr durch das Haus gehen konnte.
Laura.
Antonella Saracelli hob die Augenbrauen. Eine Geste der Bestätigung. Sie hatte sich schon gedacht, dass es so laufen würde. So leicht schlief ihre Enkelin nicht ein. Laura hatte ihr Zimmer verlassen, um etwas zu besorgen.
Wahrscheinlich wollte sie noch trinken, ihren Durst löschen. Ein Getränk aus dem Kühlschrank holen. Das war alles so normal, doch die alte Frau wunderte sich, dass sie es in diesem Fall nicht als normal empfand. Irgend etwas stimmte nicht. Es musste einfach mit dieser Atmosphäre zusammenhängen, eine andere Erklärung hatte sie nicht.
Lauras Schritte waren hörbar. Und Antonella stellte auch fest, dass sich ihre Enkelin dem Ende der Treppe näherte. Wenn sie den direkten Weg weiterging, würde sie den Wohnraum betreten, wo Antonella auf sie warten wollte.
Nein, nicht warten Antonella wusste selbst nicht, was in sie gefahren war, als sie den Entschluss fasste, ihr entgegenzugehen.
Sie näherte sich mit wenigen Schritten der Wohnzimmertür und zog diese auf.
Dunkelheit. Schattengewächse. Grau, verzerrt und Furcht einflößend. Umrisse von Möbeln, dazwischen die Treppe mit ihrem Geländer und den nach oben führenden Stufen.
Und auf der Treppe stand die Gestalt – Laura!
Sie hatte gesehen, dass die Tür geöffnet wurde, und war stehen geblieben. Die graue Dunkelheit, die Schatten, die ungewöhnlich verschwommenen Umrisse, das alles war eine Welt für sich und trug zudem noch dazu bei, dass Antonella nicht in der Lage war, ihre Enkelin deutlicher zu sehen, als dieses graue Etwas auf der Treppenmitte.
Sie wusste aber, dass einiges nicht stimmte. Das plötzliche Stehen bleiben, Lauras Haltung, all dies passte einfach nicht in die Normalität hinein.
Warum kam sie nicht vor und sprach einige Worte zur Begrüßung?
Statt dessen stand sie, da, schaute nach unten, nahm die Großmutter ebenfalls nur als Schattengestalt wahr, das Licht aus dem Wohnzimmer reichte nicht aus und schwieg sie an.
Es war bedrückend, und Antonella hatte das Gefühl, als würden sich zwei Fremde gegenüberstehen und nicht die Mitglieder einer Familie. Zwischen ihnen gab es keine Beziehung, da war nichts anderes als eine Wand aus dünnem Eis.
Sie schwiegen auch weiterhin.
Düsternis umgab sie. Nur die alte Frau atmete. Das Herz schlug schneller. In ihrem Körper befand sich eine Stahlklammer, die sich immer weiter zuzog, als wollte sie ihr Herz zerdrücken.
Es war nicht gut, was hier ablief. Obwohl, niemand ein Wort sprach, blieb die Bedrückung.
Warum geht sie nicht weiter? dachte Antonella. Warum bleibt sie dort stehen wie jemand, der auf den anderen nieder sieht und darauf lauert, dass er etwas tut?
Nichts passierte.
Schließlich war es Antonella, die sich ein Herz fasste und ihre Enkelin ansprach. »Laura… was … was ist mit dir? Warum bist du gekommen? Hast du nicht schlafen können?«
Sie schwieg.
»Bitte, Laura!«
Endlich reagierte der Teenager. Er setzte sich in Bewegung. Die eine Hand lag auf dem Geländer und blieb auch dort liegen, als sie zwei Stufen nach unten ging. Sie schleifte hörbar darüber hinweg, und die Tritte hinterließen ein leises Echo.
Die Düsternis war geblieben, doch Antonella konnte sehr gut erkennen, dass sich irgend etwas verändert hatte. Das war nicht die Laura, die sie kannte. Bei ihr war der Körper so ungewöhnlich geworden. Sie hatte eine andere Figur.
Antonella zwinkerte. So richtig kam sie da nicht mit. Etwas störte ungemein. Das Gesicht ihrer Enkelin war nicht mehr als ein blasser Fleck. Ebenso fielen Antonella die breiten Schultern auf. Sie waren nicht normal. Gestern hatte Laura anders ausgesehen. Warum diese Veränderung?
Sollte sie etwa…?
Antonella führte den. Gedanken nicht zu Ende. Sie wollte nicht daran glauben, sie…
»Hallo, Großmutter!«
Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie die Stimme der Enkelin hörte, und die Beine anfingen ihr zu zittern, aber nicht, weil Antonella gesprochen hatte, sondern weil ihre Stimme so verändert klang.
Es war nicht mehr die eines siebzehnjährigen Mädchens. Sie hörte sich rau und kalt an, sie klang irgendwie neutral und gleichzeitig feindselig.
Laura gehörte nicht mehr dazu.
Antonella fing an zu
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