076 - Die Jenseitskutsche von Diablos
halbblind war. Sie umrundeten alle das
Haus und kamen von der Seite her in den Hof. Der holprige Boden war nicht ganz
ungefährlich, aber wenn Petra hier gefallen wäre, hätte man sie sehen müssen.
Es gab keinen Weg, der aus dem Hof führte.
Zwischen Schuppen und Stallungen, in denen drei
Ziegen, fünf Schweine, zwei Lämmer und zehn
aufgeregte Hühner nebst Hahn und einem grauen Maultier einträchtig
nebeneinander lebten, führten schmale Gassen entlang. Auch sie wurden
durchsucht. Sie führten zu einem Misthaufen und allerlei Unrat und Kisten, die
an den Hinterwänden gestapelt waren. Die Suchenden gingen sogar den Hügel hinauf.
Sie fanden aber keine Spuren, die man mit dem rätselhaften Verschwinden der
jungen Frau in Verbindung hätte bringen können.
»Ich bin mit meinem Latein am Ende«, sagte Marner
schließlich, als sie wieder im Hotel waren. »Ich muss die Polizei anrufen oder
mit ihr sprechen. Meine Freundin kann sich doch nicht in... Luft aufgelöst
haben.« Viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Einmal in ihrem Leben war
Petra davongelaufen. Aber das lag Jahre zurück und hatte sich nie wiederholt.
Außerdem war dieser Situation damals ein heftiger Streit vorausgegangen, und
Petra hatte nachher selbst eingesehen, dass sie sich dumm benommen hatte.
Und noch etwas anderes ging Marner durch den Kopf: die
seltsamen Erlebnisse der letzten Nacht. Die Erscheinung der Kutsche... der Anhalter,
der wenig später zu Staub zerfiel. Hatte Petras Verschwinden etwas damit zu
tun? Er brütete vor sich hin, während er schluckweise seinen Kaffee trank, den
er sich hatte bringen lassen. Nur essen konnte er nichts.
Pete und Sue Muller fuhren los. Draußen vor dem Hotel
sprang der Wagen an. Dann entfernte sich das Motorgeräusch. Hans Marner war mit
Miguel Bazo allein. Maria hantierte in der Küche. Geschirr klapperte. Der
Frühstücksraum war ein Teil der Küche, von dieser nur abgetrennt durch einen
Plastikvorhang.
»Ich werde die Polizei verständigen«, sagte Marner
unvermittelt, »und ich werde ihr alles sagen, was sich seit der letzten Nacht
zugetragen hat. Egal, was man von mir denkt... Wie war das doch noch mit der
Kutsche, Senor Bazo? Sie wollten mir heute Morgen noch etwas darüber sagen.«
Bazo streichelte seinen Bart und wiegte den Kopf hin und her. »Ich spreche
nicht gern darüber, Senor.«
»Das hab ich schon gemerkt.«
»Aber in Anbetracht der Umstände, die eingetreten
sind... ich fürchte, dass das Verschwinden Ihrer Freundin mit den Beobachtungen
zusammenhängt, die Sie in der letzten Nacht gemacht hatten. Kutschen hatten in
dieser Gegend schon immer etwas Mysteriöses. Deshalb finden wir Einheimischen
es makaber, dass die Leute oben in der Maurenburg sich einer Kutsche bedienen,
um Gäste eine abenteuerliche Fahrt bergauf erleben zu lassen. Die
Herbergsbesitzer stammen nicht aus dieser Gegend, deshalb werden sie die
Legenden nicht so ernst nehmen und über die Erzählungen von der Jenseitskutsche
von Diablos lächeln.«
»Jenseitskutsche von Diablos?«
»So nannte man früher ein Gefährt. Es gehörte den
Menschen auf der Burg, und mit ihm fuhren sie ins Tal. Manchmal tauchte die
Kutsche aber auch nachts auf. Das war das Zeichen, dass wieder jemand gehen
musste. Der Tod hatte sich angekündigt. Und es war so, dass am nächsten Morgen
tatsächlich jemand aus einem der Dörfer verschwunden war und niemals mehr
auftauchte. Die Kutsche hat ihn ins Jenseits befördert, hieß es dann.«
»Unsinn! Gespenstergeschichten!«
Bazo zuckte die Achseln. »Für Sie, Senor, nicht für
uns... Ich hätte Ihnen nichts davon erzählt, wenn Sie mich nicht ausdrücklich
darum gebeten hätten. Als Sie mir sagten, was Sie letzte Nacht sahen, war ich
erschrocken. Ich habe dadurch sehr heftig reagiert. Dafür möchte ich mich im
Nachhinein noch entschuldigen. Ich sehe es wirklich nicht gern, wenn Leute mit
der Kutsche nach oben fahren.«
»Die Mullers haben es auch vor.«
»Si, leider. Ich kann sie nicht davon abbringen. Jeder
muss selbst wissen, was er will.« Die Unterredung zwischen Marner und dem
Spanier währte noch eine halbe Stunde. In dieser Zeit erfuhr der Deutsche, dass
im Verlauf vieler Jahre immer wieder mal Menschen hier in der Gegend
verschwanden. »Aber niemals kam jemand auf die Idee, die Maurenburg und die Jenseitskutsche
damit in Verbindung zu bringen«, schloss Bazo seufzend.
»Die Behörden werden ihren Grund dafür gehabt haben.
Die Gegend hier ist recht unzugänglich. Wenn jemand sich zu
Weitere Kostenlose Bücher