076 - Die Jenseitskutsche von Diablos
Nacht wollten sie dort verbringen. Dann klappte nebenan die Tür,
und Marner hörte, wie sich Schritte auf der Treppe nach unten entfernten. Im
Flur wurden die beiden Engländer von Senor Miguel Bazo fröhlich und lautstark
begrüßt. »Maria hat das Frühstück für Sie schon vorbereitet, Senores... ich
hoffe, Sie werden zufrieden sein.«
Frühstücken, ja, danach stand auch Hans Marner der
Sinn. Wo nur Petra blieb? Er wusch sich, zog sich an und hoffte, dass seine
Partnerin in der Zwischenzeit auftauchte. Doch das war nicht der Fall. Ob Petra
schon unten auf ihn wartete? Unmöglich, ihre Kleider hingen noch an der Tür und
über der Stuhllehne. Der roséfarbene Morgenmantel aber fehlte. Vielleicht gab
es im Haus ein Etagenbad oder eine Dusche, in die sie sich begeben hatte? Aber
der Zeit entsprechend hätte sie längst zurück sein müssen. Marner ließ noch
fünf Minuten verstreichen. Als Petra dann immer noch nicht kam, verließ er das
Zimmer. Das Knarren der Holztreppe und das Ächzen des wackeligen Geländers rief
Senor Bazo auf den Plan. Der untersetzte Mann mit dem kleinen Bauchansatz kam
frohgelaunt aus der Tür zur Küche und hob beide Hände, als wollte er den Gast
umarmen.
»Buenos Dias, Senor! Ich hoffe, Sie und Ihre Frau
haben gut geschlafen? Ist das nicht ein herrlicher Morgen? Das wird ein wahrer
Bilderbuchtag! Strahlendblauer Himmel über der Sierra... ein Firmament wie aus
Seide.«
»Buenos Dias, Senor Bazo.« Marner ergriff die dar gebotene
Rechte des Spaniers. »Wie meine Frau geschlafen hat, kann ich leider nicht
beantworten. Ich habe sie heute Morgen noch nicht gesehen.« Bazo wusste
offensichtlich nicht, wie er sich verhalten sollte, ob er ernst dreinblicken
oder lachen sollte. Erlaubte sich der Gast mit ihm einen Scherz? Miguel Bazo
strich mit dem Zeigefinger über seinen schwarzen Lippenbart. »Haben Sie sie
nicht gesehen?«, fragte Hans Marner unvermittelt.
»Aber, Senor! Wie sollte ich...« Jetzt wurde es
mysteriös. Auch Bazo hatte keine Ahnung. War Petra etwas zugestoßen? Sie sahen
sich an und schienen im gleichen Augenblick dasselbe zu denken. Miguel Bazo und
Hans Marner verließen durch die Hintertür das Haus und überquerten den Hof. Ihr
Ziel war das hölzerne Häuschen. Die Tür war eingeklinkt. Marner klopfte an.
»Petra? Hallo? Bist du da drin?« Als keine Antwort
erfolgte, öffnete er kurzentschlossen die Tür. Es war niemand in der hölzernen
Toilette. Da verstand Hans Marner die Welt nicht mehr. Sie suchten das ganze Haus nach Petra ab. Der Appetit auf ein kräftiges Frühstück
war dem Mann vergangen. Die Sorge um seine Begleiterin schnürte ihm förmlich
die Kehle zu. Auch Maria Bazo kam aus der Küche.
Die Spanierin war klein und zierlich, fast schmächtig.
Sie trug ein schwarzes Kleid, das ihre Magerkeit noch unterstrich. Maria Bazo
hatte wunderschönes, hochgestecktes Haar und ebenmäßige weiße Zähne. Auch sie
beteiligte sich an der Suche nach Senora Marner, wie sie immer wieder
durchs Haus rief. Pete und Sue Muller, die einzigen Gäste außer Marner in dem
abgelegenen Haus kurz vor Trevelez, merkten, dass etwas nicht stimmte. Sie
waren beide jung vermählt und verbrachten ihre Flitterwochen in Spanien. Sie
wollten bis nach Algeciras und von dort aus nach Tanger übersetzen, den Felsen
von Gibraltar besuchen, wo Sue Verwandte hatte, und dann in etwa drei Wochen
die Rückreise nach England antreten.
Sie sprachen beide recht gut Deutsch. Pete Muller war
als Lehrer in Brighton tätig, seine junge Frau Sue studierte noch einige
Semester Medizin und wollte sich dann auf Kinderheilkunde spezialisieren. Sie
boten ihre Hilfe bei der Suche nach Petra Strauß an. Hans Marner war inzwischen
auf den Gedanken gekommen, dass Petra vielleicht in der Nacht das Zimmer
verlassen hatte, um zur Toilette zu gehen. Vielleicht hatte sie sich in der
Dunkelheit verirrt und war irgendwo gestürzt, hatte sich verletzt und war
liegengeblieben.
Es war ein verrückter Gedanke, der ihm durch den Kopf
ging, aber Marner wusste selbst nicht mehr, was er noch glauben oder denken
sollte. Sie suchten alle zusammen. Miguel Bazo nahm sogar seinen
altersschwachen Schäferhund mit, der die ganze Zeit über in der Küche in der
Ecke gelegen und von den Anwesenden keinerlei Notiz genommen hatte. Der Hund –
Carlo – bekam den Befehl seines Herrn, zu suchen, und gehorsam führte er die
Schnauze über den Boden. Dabei war Hans Marner überzeugt, dass der Hund
keinerlei Geruchssinn mehr hatte und
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