076 - Die Jenseitskutsche von Diablos
Himmels willen, wie kommt denn
die Frau... auf das Dach?«
»Darüber können wir später diskutieren. Ich muss
schnellstens nach oben... auf zum Lift!« Larry stürzte in die beleuchtete
Vorhalle. Seine Schritte hallten laut durch das nächtlich stille Gebäude.
Sämtliche Aufzüge, es gab insgesamt drei, standen unten. Ihre Türen öffneten
sich alle gleichzeitig. Larry und der Nachtwächter liefen in den mittleren. Der
Lift zog an und trug sie schnell nach oben. Schnell genug, um Morna Ulbrandson
noch zu helfen? Obwohl nur wenige Sekunden vergingen, hatte Larry das Gefühl,
eine Ewigkeit unterwegs zu sein. Dann waren sie endlich oben. Die beiden
Türhälften waren noch nicht ganz auseinandergeglitten, da stürmte Larry schon
auf den Korridor, den letzten in diesem Haus.
Nur wenige Schritte vom Lift entfernt waren eiserne
Sprossen an der Wand, die zu einer verschlossenen Dachluke führten. Wertvolle
Sekunden gingen verloren, weil Larry darauf warten musste, bis der Wächter den
richtigen Schlüssel aus dem umfangreichen Bund herausgezogen hatte. Die Luke
klappte nach außen. Kalte Luft wehte den beiden Männern ins Gesicht. Der
Wächter kletterte aufs Dach, Larry in aller Eile hinter ihm her. Der Rand lag
nur zwei Schritte von ihnen entfernt. X-RAY-3 sah die Finger, die sich über den
Dachrand krallten und wie ihre Spannung immer mehr nachließ. Die Finger
begannen zu zittern. Jetzt, auf dem Dach, war das laute Rufen ganz nahe.
» H-i-l-f-e... H-i-l-f-eee!« Eindeutig handelte es sich um Mornas Stimme. Dann war
Larry am Dachrand, umklammerte die Armgelenke der Schwedin, die zu ihm aufsah
und ihn erleichtert und dankbar anblickte. Eine halbe Minute später war alles
vorüber. X-RAY-3 zog Morna in die Höhe. Als ihr Oberkörper erst mal über den
Rand ragte, war es kein Problem mehr, sie vollends aufs Dach zu ziehen. Larry
legte den Arm um ihre Schultern.
»Alles okay, Schwedengirl?«, fragte er leise.
»Alles okay, Sohnemann... Du kamst gerade zur rechten
Zeit. Lange hätte ich das nicht mehr durchgehalten. Es war wie verhext, aber
ich habe es nicht geschafft, mich aus eigener Kraft in die Höhe zu ziehen.«
Larry warf einen letzten Blick in die Straßenschlucht. Die Rettungsaktion war
von einigen Passanten bemerkt worden. Sie waren stehen geblieben, auch Autos
hatten gehalten. Wortlos kehrten die drei Menschen aus der luftigen und
schwindelerregenden Höhe mit dem Aufzug in die Vorhalle des Gebäudes zurück.
Der Nachtwächter blickte kopfschüttelnd auf die attraktive Blonde.
»Wie kommen Sie nur da hinauf?«, fragte er verwirrt.
Morna Ulbrandson konnte ihm darauf nicht antworten. Larry Brent tat es an ihrer
Stelle.
»Meine Freundin ist Schlafwandlerin... in
Vollmondnächten muss man bei ihr auf Überraschungen gefasst sein... Vor vier
Wochen entdeckte man sie auf dem Empire State Building... auf der windumtosten
Spitze sah sie mit ihrem wehenden langen Haar und dem flatternden weißen
Nachthemd aus wie die Braut von King Kong, dem Riesenaffen.« Der Nachtwächter
wollte etwas sagen. Ihm klappte die Kinnlade herunter, und er schien sich das
Bild, das Larry ihm beschrieben hatte, sehr
genau vorzustellen. Als er sich endlich wieder fasste, war das Paar
verschwunden, und dem Mann fiel ein, dass er eigentlich die Polizei hatte
anrufen wollen, um sie von dem merkwürdigen Zwischenfall in Kenntnis zu setzen.
In der Aufregung hatte er das ganz vergessen. Er tat es im Nachhinein. Aber
seine verworren klingende Geschichte wurde nur mit einiger Skepsis
entgegengenommen. Der Wächter des Büro- und Bankhauses konnte beschwören, dass
sämtliche Türen und Fenster verschlossen waren und sich kein Angestellter mehr
im Haus befand. »Es ist mir ein Rätsel, wie die Fremde aufs Dach kam.«
»Vielleicht ist sie aus einem Hubschrauber
gesprungen«, sagte der protokollierende Beamte am anderen Ende der Strippe in
einem Anflug von Humor. »In der heutigen Zeit muss man ja mit allem rechnen,
Mister.«
●
Das eintönige Summen des gleichmäßig laufenden Motors
hüllte sie ein. »Wie ist’s passiert, Morna?«, fragte Larry, während er den
Lotus Europa aus der Bronx lenkte. X-RAY-3 blickte seine charmante Kollegin von
der Seite an. Morna wirkte unverändert. Sie war eine jener Frauen, die
gefahrvolle und ungewöhnliche Ereignisse schnell verkrafteten. Die Gefahr und
das Ungewöhnliche gehörten zu Mornas Leben wie das tägliche Brot.
»Du warst gerade hinter der Mauer verschwunden, da kam
ein Taxi die Straße
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