076 - Die Jenseitskutsche von Diablos
als Symbol mitten im
Burghof. Eines Tages war auch der Pfahl verschwunden, und niemand konnte sagen,
wohin er gekommen war.
Hans Marner warf einen Blick ins Innere der Kutsche.
Die Bänke waren aus Holz und ungepolstert. Am Fußende leuchtete ein rosa
Flicken! Der Mann zuckte zusammen. Ein Stück von Petras Morgenmantel! Der
Deutsche wollte die Tür öffnen. »Hallo!«, hallte da eine Stimme durch
den Hof. »Suchen Sie etwas, Senor?« Marner wandte sich um. Am Haus gegenüber
streckte aus einem Fenster in der ersten Etage ein Mann seinen Kopf. »Ich seh’
mich ein wenig hier um«, antwortete Marner zurückrufend. »Die Kutsche ist
offenbar sehr alt.« Der Mann am Fenster beugte sich nach draußen. »Fünfhundert
Jahre mindestens. Die jetzigen Besitzer der Burg und der Herberge haben sie
wieder herrichten lassen. Sind Sie zu Fuß heraufgekommen?«
»Si, si.«
»Sie hätten sich die Mühe ersparen sollen, Senor.
Dreimal am Tag fährt die Kutsche. Sie ist nicht besonders bequem, aber die
Fahrt bis in die Burg ist schon ein unvergessliches Erlebnis.«
Drei Minuten später befand sich Hans Marner ebenfalls
in der ersten Etage des querstehenden Gebäudes, von dem man auf der einen Seite
einen Blick in die beiden großen Innenhöfe und auf der anderen Seite einen in
die tief unten liegenden Schluchten hatte. An der Seite des Gebäudes führte
eine klobige, aus dem Fels gehauene Treppe steil nach unten bis an den Fuß des
Turmes, der etwa zwanzig Meter weiter unten begann. Der Mann, der sich mit
Marner unterhalten hatte, war Kellner des kleinen, rustikal eingerichteten
Restaurants, in dem sich im Moment kein weiterer Gast aufhielt.
Die meisten kamen zufällig hierher. Bei einer Fahrt
durch die Berge, wenn sie die Kutsche auf dem Halteplatz sahen oder durch
Zufall von der abgelegenen Maurenburg erfahren hatten. Die Herberge verfügte
über fünf Einzel- und zwei Doppelzimmer. Zurzeit war kein einziges Zimmer
belegt, aber der Kellner hoffte, dass mit Beginn des Sommers die Situation sich
änderte. Dann waren mehr Menschen unterwegs, und manch einer fuhr auch tiefer in die Berge. Der Kellner hieß
Alfredo, war von hagerer Gestalt und hatte auffallend große, dunkle Augen mit
langen, seidigen Wimpern, um die manche Frau ihn beneidete. Mit Alfredo trank
Marner einen Kaffee, dabei aß er ein belegtes Brötchen. In der Küche hinter dem
Tresen sah Marner einige Male einen Schatten und hörte Geräusche. Geschirr
klapperte, eine Tür klappte ins Schloss. Marner saß am Fenster des kleinen
Restaurants und konnte in den Hof sehen.
Aus dem Turmanbau kam ein Mann in dunklen, abgewetzten
Hosen und speckiger Lederjacke. Er trug eine zusammengelegte Peitsche in der
Hand. Es war der Kutscher. Er holte die Pferde aus dem Stall, zwei prächtige
Hengste, deren schwarze Körper glänzten, als wären sie mit Öl eingerieben. Der
Mann verrichtete seine Arbeit mit Routine. Er war kräftig und erledigte seine
Aufgabe ganz allein. Das Pferdegeschirr rasselte, als die Metallteile den
klobigen Boden und die Gabel der Kutsche berührten. Dann war angespannt. Der
kräftige, gedrungene Mann nahm seinen Platz auf dem Kutschbock ein und
schnalzte mit der Zunge. Ratternd setzte sich die Kutsche in Bewegung, ächzte
und knirschte in ihrem Gefüge, als die Räder über die zum Teil herausragenden
Steine rollten.
Die Kutsche verschwand durch das große Tor, und Marner
sah sie gleich darauf nicht mehr. Aber das ratternde Geräusch war noch lange zu
hören. Der Mann aus Stuttgart fühlte die aufsteigende Unruhe. Es war die
Kutsche, die in der letzten Nacht seine Bahn gekreuzt hatte! War doch etwas
dran an der komischen Gespenstergeschichte, die Miguel Bazo zum besten gegeben
hatte? Und was war mit dem verwitterten alten Mann, der zu Staub zerfiel? Hans
Marner wusste, dass er einem Geheimnis auf der Spur war. Und er war sich ganz
sicher, dass er auf seine Frage, ob es möglich sei, dass ihm die Kutsche nachts
auf dem Weg nach Trevelez begegnet sein könne, Alfredos schnelle Antwort bekam.
»Aber nein, Senor, das ist ganz ausgeschlossen. In der
Dunkelheit ist eine Fahrt mit der Kutsche auf diesem Gelände lebensgefährlich.
Das können wir unserem Kutscher nicht zumuten...« Am liebsten hätte Marner dem
Kellner seinen Verdacht, dass auch Petra in der Nacht offensichtlich mit der Kutsche gefahren war, ins Gesicht
geschrien. Aber er riss sich zusammen. Er hatte bis auf ein Stück Stoff, das er
in der Kutsche gesehen hatte, keine Beweise für den
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