0769 - Das Kollektiv
sich, nie wieder einen solchen Schmerz empfinden zu müssen.
Vor ihm ragte der Schatten des Facettenäugigen auf.
Sie sind anders als andere Menschen. Wir können Ihren Willen kontrollieren, aber es gibt eine Sperre, eine letzte Barriere, über die wir nicht hinauskommen. Sagen Sie uns, weshalb Sie hier sind, oder Sie werden sterben.
Die Augen des Gefangenen tränten. Als sich sein Blick geklärt hatte, war der Facettenäugige verschwunden.
***
Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie von Anfang an nichts anderes im Sinn gehabt hatten.
Die Drohung, dann das Verschwinden des Facettenäugigen. Warum hatten sie ihn nicht getötet? Doch nur, weil sie nach Informationen suchten, die nur er ihnen geben konnte.
Nachdenklich blickte er auf den Kristall in seiner Hand.
Er musste einen Ausweg finden! Noch einmal nahm er sich das Fenster vor, aber diesmal versuchte er es nicht auf dem normalen Weg zu öffnen - was ist in einer Umgebung wie dieser schon normal? sondern konzentrierte sich auf das Innere des Steins, den der Facettenäugige als Dhyarra-Kristall bezeichnet hatte.
Er spürte die Macht, die dort schlummerte. Der Stein war pure magische Energie. Er würde nicht länger gefangen sein, wenn er sie nur zu entfesseln verstand.
Seine Gedanken richteten sich auf das Fenster. Er presste seine Hände gegen die seltsam gummiartige Scheibe und stellte sich vor, wie sie einfach verschwand.
Fasziniert sah er zu, wie der Kristall seine Gedanken umsetzte. Von einem Augenblick zum anderen war die Scheibe verschwunden. Einfach so.
Aber wie sollte er hinunter auf die Straße gelangen? Er konnte schließlich nicht fliegen.
Oder doch?
Im selben Augenblick schien sich sein Körpergewicht zu verringern. Seine Füße hoben sich vom Boden. Er näherte sich der Fensteröffnung, durchquerte sie - und schwebte schwerelos in der Luft!
Unter sich erblickte er die leere Straße. Die fremdartigen Häuser waren von mächtigen Kletterpflanzen überwuchert. Er sah metallene Fassaden, die ihn an Bauwerke aus Science-Fiction-Filmen erinnerten, und gleichzeitig überkam ihn die Ahnung, dass er diese Art der Architektur schon einmal gesehen hatte. Nicht in Häusern, sondern in…
... Raumschiffen.
Aber er konnte sich nicht erinnern.
Langsam, wie in Zeitlupe, näherte er sich der Erde.
Als seine Füße den Boden berührten, befahl er dem Kristall, die Schwerkraft wieder einzuschalten. Der Dhyarra gehorchte, und den Mann überkam das Gefühl, die Kraft dieses Steins bisher höchstens zu einem winzigen Bruchteil ausgelotet zu haben.
Dieses mysteriöse Ding in seiner Hand tat alles, was er wollte. Vielleicht konnte er damit auch Häuser versetzen und Straßenzüge ändern? Oder sich der Facettenäugigen erwehren, falls sie ihn angreifen wollten? Die Möglichkeiten, die sich ihm boten, schienen fantastisch zu sein.
Aber darum konnte er sich jetzt nicht kümmern. Zuerst musste er Zamorra und Nicole finden, die einzigen Menschen, die ihm sagen konnten, wer er war und wie er hierher gekommen war.
Dass er selbst es gewesen war, der den Sternenstein beeinflusst hatte, stellte er keine Sekunde in Frage.
Schließlich war er Herr seines Willens.
Oder?
***
Als Zamorra erwachte, war er zunächst überrascht.
Überrascht, dass er nicht tot war.
Er fühlte noch immer den Druck auf seinen Lungen, den Schmerz an seinem Hals. Aber als er nach seiner Brust tastete, war der armdicke Pflanzenstrang, der sich wie eine Boa Constrictor darum gelegt hatte, verschwunden.
Nicole!
Er drehte den Kopf. Sie lag neben ihm. Ihre Brust hob und senkte sich regelmäßig. Zamorra seufzte erleichtert auf.
Erst jetzt fand er die Zeit, sich mit seiner Umgebung zu beschäftigen. Er lag nicht mehr auf der schäbigen Straße vor dem Spukhaus, aus dem heraus sie von den Pflanzen angegriffen worden waren. Stattdessen fand er sich in einem dunklen, fensterlosen Raum wieder, in dem es keine Möbel gab. Die Wände waren glatt verputzt, nicht einmal der Anschein von Mauerwerk zeichnete sich ab.
Und der Lichtschein…
Zamorra hielt den Atem an. Das hatte er im Traum nicht erwartet. Die Lichtquelle an der Decke war nicht etwa eine stromgespeiste Lampe, sondern eine jener Minisonnen, wie sie auch im Châteaukeller über der Regenbogenblumenkolonie schwebte.
Er hatte nie herausgefunden, woher diese Sonne kam oder durch welche Energiequelle sie gespeist wurde. Dass sie Wasserstoff durch Kernfusion zu Helium verbrannte wie die richtige Sonne, war aufgrund des geringen Drucks
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