0769 - Das Kollektiv
Vergiss deinen Erzeuger. Vergiss das Kollektiv.
Verwirrung. Wir haben keinen Erzeuger. Wir sind unser Erzeuger. Wir sind immer gewesen.
Wut. Enttäuschung. Ratlosigkeit. Es hat keinen Sinn. Es hat einfach keinen Sinn…! Schon wieder gescheitert.
Eine Bewegung. Ein Griff. Der Tod.
Warum funktioniert es nicht? Warum wollen diese Geschöpfe nicht an sich glauben? Wir haben es doch auch geschafft!
Er blickte in den Kreis seiner Gefährten.
Aber da war niemand, der ihm eine Antwort geben konnte. Sie starrten ratlos auf das Geschöpf, das ein Individuum hatte sein sollen und im Tod doch nichts mehr war als ein weiteres fehlgeschlagenes Experiment, das langsam zu einem bräunlichen Matsch zerfloss.
Das war nicht der letzte-Versuch. Wir werden es noch einmal probieren. Sogar hundert Mal, wenn es notwendig sein sollte…!
***
Er hatte geglaubt, abgeklärt genug zu sein, aber das Warten machte ihn fast wahnsinnig.
Umso größer war der Triumph, als sich die Tür öffnete und der Unsichtbare zurückkehrte.
Es ist etwas passiert. Wir werden unsere Pläne ändern.
Die Tür schloss sich, bevor er die Chance zur Flucht nutzen konnte. Aber er glaubte ohnehin nicht daran, dass dort draußen die Freiheit auf ihn wartete. Hier galten ihre Regeln, und bevor er sich mit ihnen anlegen konnte, musste er erst einmal herausfinden, wer sie eigentlich waren.
Setz dich.
Er gehorchte.
Der zweite Stuhl wurde zurückgeschoben. Dann begann die Luft an der Stelle, an der der Unsichtbare saß, zu flimmern. Umrisse schälten sich aus dem Nichts. Ein unförmiger kahler Schädel mit riesigen Facettenaugen. Er saß auf einem Hals, der ebenso dürr war wie die Gliedmaßen, die aus dem unbehaarten Leib wuchsen.
Der Gefangene erblickte gichtartig vergrößerte Gelenke an den Fingern und Ellenbogen des Fremden. Eigentlich hätte er angesichts dieses Anblicks entsetzt sein müssen, aber er fühlte nichts dergleichen. Nicht einmal Überraschung.
Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er dieses Wesen kannte. Oder andere seiner Art. Aber bevor sich der Schleier seiner Erinnerung lüften konnte, setzte der Facettenäugige die Unterhaltung fort.
Es gab einen Zwischenfall, auf den wir reagieren müssen.
Und was hat das mit mir zu tun?, hätte der Gefangene am liebsten gefragt. Aber er riss sich zusammen. Beiläufig rollte er den blauen Kristall zwischen seinen Fingern hin und her. Die Berührung des Steins war beruhigend. Er hätte sie nicht missen mögen.
Der Dhyarra-Kristall gehört Ihnen. Wir haben nicht vor, ihn zu stehlen.
Der Gefangene verspürte Unbehagen. Die Tatsache, dass ein anderes Wesen Einblick in seine Gedanken hatte, war ihm unangenehm. Aber war das wirklich so ungewöhnlich? Vielleicht erinnerte er sich nur nicht daran, dass es immer so gewesen war.
Dhyarra…
Er hatte dieses Wort schon einmal gehört, konnte es aber nicht zuordnen. Dieser Kristall befand sich also schon länger in seinem Besitz.
Zwei Ihrer Art befinden sich in der Nähe. Ihre Namen sind Zamorra und Nicole. Menschen. Sie müssen uns helfen, sie aufzuspüren.
Er lauschte dem »Klang« der Worte nach. Zamorra und Nicole. Er hatte diese Namen noch nie gehört. Was wollten sie hier? Und wieso gab es nicht mehr von ihnen? Wohin hatte es ihn verschlagen, dass die Anwesenheit von Menschen derart ungewöhnlich war?
Sagen Sie uns, was die Menschen Vorhaben. Weshalb sind sie gekommen?
»Woher soll ich das wissen?«, seufzte er.
Der Blick der Facettenaugen schien ihn durchbohren zu wollen. Wollen sie uns vernichten? Als er nichts erwiderte, fuhr der andere fort: Wir können Sie zwingen, es uns zu verraten. Wir können uns Zugang zu Ihren Erinnerungen verschaffen, sie in unser System einspeisen. Aber dann gibt es kein Zurück mehr für Sie. Wollen Sie das?
»Sie haben mir mein Gedächtnis gestohlen. Das haben Sie selbst gesagt. Woher soll ich dann wissen, wer diese Fremden sind?«
Der Facettenäugige starrte ihn an.
Da fühlte der Gefangene plötzlich eine Woge von Schmerz in seinen Eingeweiden. Er krümmte sich. Er wollte um Hilfe schreien, obwohl seine Stimme versagte. Feuer wütete in seinem Innern, schien seine Organe zu verschlingen.
Und dann - von einem Augenblick zum anderen - war der Schmerz vorüber. Er ging so unvermittelt, wie er gekommen war.
Der Gefangene richtete sich auf. Schweiß rann ihm über die Schläfen. Schleier waberten vor seinen Augen. Es hatte nicht länger gedauert als eine Sekunde, vielleicht auch nur eine halbe. Trotzdem wünschte er
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